"BAROCKE SCHÄTZE", Philippe Jaroussky - 9. September 2009

Als vor gut 40 Jahren die ersten Countertenöre von der britischen Insel nach Deutschland kamen, wurden sie mißtrauisch beäugt; Männer, die klangen wie Frauen waren verdächtig… Heute besitzt der Franzose Philippe JAROUSSKY in der Alten-Musik-Szene einen ähnlichen Kultstatus wie etwa Anna Netrebko in der Oper, die Karten gehen weg wie die berühmten warmen Semmeln. Die Unsrer Lieben Frauen Kirche war im Eilverfahren ausverkauft, obwohl das Konzert erst nachträglich ins Programm des Bremer Musikfestes genommen worden war.

Nun sind Jugend, gutes Aussehen und Charme natürlich auch bei einem Mann kein Hindernis für die Karriere, aber bei Jaroussky konzentriert sich das Interesse doch vornehmlich auf die Stimme, zumal man ihn in Deutschland kaum auf der Opernbühne erleben kann (auch diesbezügliche DVDs sind rar).

Es ist zweifellos per se ein ungewöhnliches Organ, von der Lage her zwar ein Alt, aber einem von ungewohnt hellem, extrem obertonreichen, fast sopranigen Klang. Schon damit fällt er aus der Reihe, aber das wirklich Faszinierende ist die phänomenale Technik. Daß er als Barockspezialist Koloraturen in einem Tempo singt, von dem auch die direkten Kollegen vergangener Jahre nur träumen konnten, gehört dabei noch zum heute erreichten Standard, die Gesangstechnik hat sich durch die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gerade in diesem Bereich gewaltig weiterentwickelt. Absolut ungewöhnlich aber ist das perfekte Beherrschen eines schier endlosen "messa di voce" (Crescendo und decrescendo auf einem Ton) und der ebenso endlose "fil di voce", Pianophrasen von einer Länge, bei der man sich unwillkürlich überlegt, wann der Sänger eigentlich atmet. Dazu kommt eine wirklich unfehlbare Intonation, die durch keinen zu geraden oder starren Ton getrübt wird - Gesangskunst in Vollendung.

Die vier Solokantaten von Nicola Porpora ("Perdono, amata Nice"), Giovanni Battista Bononcini ("Siedi amarilli"), Alessandro Scarlatti ("Ombre tacite e solo")und Antonio Vivaldi "Cessate, omai cessate") gerieten dabei als solche etwas in den Hintergrund. Hübsche Gebrauchsmusik weitgehend, in der meist irgendein Schäfer Liebesleid oder -freud in arkadischen Gefilden besang. Die wirklichen kompositorischen Qualitäten offenbarten sich mehr in der orchestralen Begleitung als in der natürlich effektvoll und meist auf den Kontrast jeweils einer langsamen und einer schnellen Arie hin angelegten Gesangspartie. Und was Vivaldi und Scarlatti ihren Instrumentalisten an raffinierter und abwechslungsreicher Begleitung geschrieben haben, zeigte schon sehr deutlich, warum sie im Gegensatz zu ihren Kollegen auch heute noch allgemein bekannt sind.

Gespielt wurde das vom CONCERTO MELANTE (7 Mitgliedern der Berliner Barock Solisten) mit rhythmischer Präzision und jenem musikantischen Schwung, ohne den Barockmusik in historischer Aufführungspraxis eine sehr akademische Angelegenheit werden kann. Den Spaß an der Freud konnten die zwei Damen und fünf Herren zwischendurch auch noch in einem Streicherkonzert von Vivaldi und einer "Follia" (eine sich damals großer Beliebtheit erfreuende Variationenfolge über einen Tanzsatz) des gute 50 Jahre jüngeren Domenico Gallo demonstrieren.

Wer sich von der Qualität des Abends selbst überzeugen möchte, kann die am 9. Oktober 2009 um 21:05 Uhr beim Deutschlandfunk tun. HK