"HUBICKA" ("Der Kuß") - 21. Oktober 2010

Die tschechische Musik wird in Wexford sehr gepflegt. Vor einigen Jahren habe ich hier bereits Dvoraks "Teufelskäthe" und "Jakobín" gesehen. Aber auch Smetana, Fibich und Weinberger sind hier bereits gespielt worden.

Diesmal kam der Vater der tschechischen Oper zum Zug, Bedrich Smetana (1824-1884). Obwohl "Die verkaufte Braut" zum Fundus jedes ordentlichen Opernhauses gehört, sind seine anderen Opern wie z.B. "Dalibor", "Libuše" oder "Die Brandenburger in Böhmen" außerhalb Tschechiens so gut wie unbekannt. Selbst sein restliches Werk wird bis auf das Streichquartett "Aus meinem Leben" und "Má Vlast" (vor allem die "Moldau") so gut wie nicht gespielt. Sehr schade um die prachtvolle Musik!

Dieses Jahr hat man in Wexford eine einst sehr beliebte Oper gespielt, Smetanas "Hubicka" (Der Kuß). Diese "Volksoper" im besten Sinn des Wortes, ist die einzige durchkomponierte und die letzte Oper Smetanas überhaupt. 1876 in Prag uraufgeführt, von Mahler sehr geschätzt und von ihm in Wien und Hamburg aufgeführt, läßt "Der Kuß" an Wagner denken, doch das täuscht. Die Verwendung gewisser "Leitmotive" - einschließlich in den Tänzen - ist hier weniger auffällig. Es fehlt auch die Furiant-Stimmung der "Verkauften Braut". Smetana war mit fünfzig Jahren bereits völlig taub, weshalb er von der Prager Oper pensioniert wurde und sich in sein Landhaus zurückzog. Der Meister war sehr abgeklärt und wollte nur mehr seine letzte Oper fertig stellen. Er starb erst sechzig Jahre alt und taub.

Die Geschichte ist einfach, und die Oper könnte auch "Die Liebe bringt selbst zwei Dickschädel zusammen" heißen: Lukáš' Frau ist kürzlich im Kindbett gestorben, was damals alltäglich war. Aber Lukáš hat schon eine Andere im Auge, Vendulka, in die er schon vor seiner Hochzeit verliebt war. Diese nimmt sich schon des Babys an. Er sendet deshalb seinen Schwager Tomeš zu ihr und trotz der Zweifel des Vaters Vendulkas, der beide als Dickschädel kennt, gibt es zunächst kein Problem. Bei der Verlobung der beiden will Vendulka sich aber nicht küssen lassen, denn das darf man erst nach der Hochzeit in Öffentlichkeit tun, und es gibt den ersten Krach. Lukáš ist sauer, läuft davon und kommt betrunken mit einigen Freunden und Musikern zurück, um Vendulka zu necken und küßt auch eine andere. Dabei singt Vendulka im 2. Akt eine sehr innige Arie, wo sie von "vielen Küssen im Mondschein" träumt! Aber die Geschichte ist komplizierter, denn Vendulka ist abergläubisch und hat Angst vor der Rache der Verstorbenen, was sie in einer langen und intensiven Arie erzählt. Vendulka geht zu ihrer Freundin Martinka, die sie für die Schmuggler anwirbt. Lukáš lässt auch nicht locker, geht ihr nach und ist nicht nur verzweifelt, sondern auch betrunken. Tomeš überredet ihn sich mit Vendulka zu versöhnen. Vendulka wird schließlich von Martinka und Schmuggler-Chef Matouš überredet. Bei der Versöhnung will nun Vendulka den Lukáš küssen, der aber jetzt nicht will. Er wollte schließlich nur sein Entgegenkommen zeigen, doch nach langem Zureden des ganzen Dorfes, küssen die beiden sich am Ende herzlich und lang.

Musikalisch steht "Der Kuß" in der klassischen tschechischen Volksoper und auch die stimmliche Behandlung der Rollen ist vollkommen im Stil Smetanas. Die junge Vendulka ist natürlich ein lyrischer Sopran, Martinka ein Mezzo, der Dorf-Schönling Lukáš ist ein Tenor mit heldischen Allüren, der Vater Vendulkas ist ein Baß, Tomeš, der Schwager und Freund, ein Bariton. Vendulkas Kusine Barce eine Soubrette. Alles wie gewohnt. Die jungen Künstler waren - mit Ausnahme des Regie-Teams, der Vendulka und des Schmugglers Matouš - tschechischen oder slawischen Ursprungs.

Die junge Südafrikanerin Pumeza MATSHIKIZA sang mit wunderschönem, sehr gepflegtem und warmem lyrischem Sopran und viel Engagement die schwierige Rolle der Vendulka, durch die Sprache noch erschwert. Sie spielte vor allem das dickköpfige, aber bis über die Ohren verliebte junge Mädchen mit Charakter und umwerfendem Charme. Wie der Name andeutet ist Pumeza Mathikiz keine Afrikaanerin oder Burin, sondern ist dunkelhäutig, was aber unter den blonden Slawen und Iren nichts ausmachte, dank ihrer ausnehmenden Bühnen-Präsenz - ein entzückender und liebenswerter Dickschädel. Der zweite Dickschädel ist Lukáš, für den der slowakische Tenor Peter BERGER alle Attribute des Dorf-Don Juan mitbrachte: er schaut gut aus, spielt ausgezeichnet, nüchtern oder betrunken, und besitzt eine Riesenstimme, die er klug und effektvoll anwandte.

Ausgezeichnet war ebenfalls der dritte Dickschädel, der junge Jiri PRIBYL, der den rechthaberischen, immer schimpfenden, alten Vater Paloucky Otec, gekrümmt und mit Stock, magistral auf die Bühne stellte. Sein dunkler, aber nicht schwarzer Baß paßte dafür bestens, um eine perfekte Charakter-Studie zu bieten. Schwager Tomeš ist sozusagen das ausgleichende Element unter der Schar von dickköpfigen Narren, die die Szene bevölkern. Pavel BARANSKY tat dies souverän mit seinem gepflegten Kavalierbariton und klugen Spiel, wenn er geschickt dem etwas tölpischen, aber sturen Lukáš an mehreren Stellen gut zureden muß.

Martinka, die gute, etwas ältere und erfahrene Freundin Vendulkas, war bei Eliska WEISSOVA in besten Händen. Ihr gut geführter und tragender Mezzo, gepaart mit handfester Bauernschlauheit ergab eine sehr gute Charakterstudie einer Frau, die das Leben kennt und es mit dem Gesetz nicht ganz genau nimmt, denn sie überredet ja Vendulka zum schmuggeln. Blendend, wenn die beiden Frauen, die geschmuggelte Ware in einem Korb mit Birnen zudecken und dann von den Zollbeamten kontrolliert werden, was zu einem fröhlichen Terzett Anlaß gibt: die Birnen kugeln in die ausgebreitete Schürze, und die Zollbeamten bemerken nichts. Vendulkas Kusine Barce war die süße, springlebendige junge Russin Ekaterina BAKANOVA, die vor allem die Burschen des Dorfes im Kopf hat. Ihr wunderbares Lied an die Sonne im 3. Akt sang sie mit frischen Sopran und viel Herz und Ausdruck. Den weiteren "Ausländer" waren die kleinen Rollen zu geteilt und sangen sehr gut: dem Chef der Schmuggler, Matouš, gab Bradley SMOAK die richtige Listigkeit und Robert Anthony GARDINER dem Zollbeamten Strázník die passende Beschränktheit.

Der Brünner Dirigent Jaroslav KYZLINK, der mehrere Jahre die Slowakische Staatsoper musikalisch betreut hat, war natürlich hier in seinem Element. Er leitete das ORCHESTRA OF THE WEXFORD OPERA FESTIVAL mit Schwung und Begeisterung in dieser schönen Aufführung. Man fühlte, dass er die prachtvolle Musik Smetanas dem Publikum ans Herz legen wollte. Daß Lubomir MATL in Wexford Chordirektor ist, kann man als wahres Glück bezeichnen, denn wenn jemand ein solches Werk beleben kann, ist es wohl er. Matl und der CHORUS OF THE WEXFORD OPERA FESTIVAL wurden am Schluß auch mit Recht stürmisch gefeiert. Prachtvoll!

Die Inszenierung des englischen Regisseurs Michael GIELETA war sehr gelungen und vollkommen der volkstümlichen Geschichte angepaßt, ohne Versuch die Oper zeitlich zu aktualisieren. Das Bühnenbild von James McNAMARA war eine direkte Verlängerung des Zuschauerraums: große Holzplatten verschiedener Schattierungen, die nach Bedarf verschoben oder geöffnet wurden, inklusive der Bäume in der Schmugglerszene. Die Kostüme von Fabio TOBLINI waren ebenfalls von bäuerlicher Einfachheit. Auch diesmal zeichnete Christopher AKERLIND für die effiziente und passende Beleuchtung. Michael Gieleta hatte sichtlich sehr viel Mühe auf die Personenführung verwandt, denn die Natürlichkeit der jungen Sänger war eine Augen- und Ohrenweide. Die belebten und schönen Tanzszenen hatte der irische Choreograph Sean CURRAN choreographiert.

Das Publikum war begeistert und dankte aufs herzlichste für den schönen Abend. wig.