"AUS EINEM TOTENHAUS" - 11. März 2011

(Derniere, glücklicherweise)]

"In jeder Kreatur ein Funke Gottes"? - nicht an der Staatsoper Hannover

Das Beste an der Aufführung in Hannover war die Vorfreude - und das Schlimmste die Ernüchterung schon innerhalb der ersten Minuten der Ouvertüre...

Musikalisch lieferten vor allem CHOR (musikalische Leitung: Wolfgang BOZIC) und ORCHESTER etwas ab, das stellenweise nur als Chaos zu bezeichnen ist. Der Chor bröckelte hin und wieder völlig auseinander, und im Orchester waren die Geigen sowie die hohen Bläser für einiges an Fehlern und Quietschen zu haben. Ich weiß nicht einmal, ob es am Dirigenten (Dan RATIU) liegt - ich hatte mehrere Male den Eindruck, als würde das Orchester ein anderes Tempo spielen, als das vom Dirigenten Vorgegebene. Ach ja, die Tempi... Es scheint mir, daß viele Dirigenten dazu tendieren, grundsätzlich eher schneller zu spielen, als das, was man von Aufnahmen gewohnt ist. Aber Ratiu setzt dem noch die Krone auf: Er rast durch das Stück hindurch. Ausnahmsweise nehme ich es ihm nicht mal besonders übel - es wäre wahrscheinlich andernfalls noch deutlicher aufgefallen, wie unfähig das Orchester ist, und außerdem war das Ganze auf diese Art auch glücklicherweise schnell wieder vorbei - die Aufführungsdauer blieb unter hundert Minuten.

Um fair zu sein sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß das Orchester stellenweise auch sehr gut spielte und zumindest der Schluß immer noch in der Lage war, mir einen Schauer über den Rücken zu jagen. Nur waren diese ausgesprochen guten Stellen einfach zu selten...

Weiterhin ist entweder jemand mit einer Axt an die Texte gegangen, oder es hat durchschnittlich etwa alle zehn Minuten ein Sänger seinen Einsatz verpasst. So fehlten beispielsweise mehrere Zeilen aus dem Beginn von Lukas "Arie" oder fast das gesamte Gespräch vor Skuratovs Geschichte. Überhaupt wurde sehr viel Text umgeschrieben - hier verraten die (freundlicherweise im Programmheft abgedruckten) Übertitel, daß es diesmal, zumindest stellenweise, absichtlich war, auch wenn ich nicht verstehen kann, was an den Originaltexten auszusetzen ist.

Die Inszenierung (Barrie KOSKY) setzt auf alles was eklig ist - jede Flüssigkeit, die natürlicher- oder unnatürlicherweise aus einer menschlichen Körperöffnung austritt, kommt irgendwann mal vor. Das Ausleeren der Eimer in eine Art Grube (oder über Goryancikovs Kopf) kann fast schon als zentrales Element der Inszenierung bezeichnet werden. Daß die Handlung in einem Gefängnis spielt, ist Bühnenbild oder Kostümen (Katrin Lea TAG) kaum anzusehen; wenn, dann erinnert mich das Ganze mehr an ein Irrenhaus. Das Merkwürdigste dürfte sein, daß sowohl der Platzmajor als auch der Wärter dieselbe Kleidung wie die übrigen Sträflinge (Jeans und grauer Sweater) tragen; die Beiden zeichnen sich in den entsprechenden Szenen nur durch schwarze Lederhandschuhe und Sonnenbrille aus. Dazu kommt, dass der Wärter nebenher den kleinen Sträfling, den jungen Sträfling und Elvira; der Platzmajor die schöne Müllerin der Pantomime spielt.

Wahrscheinlich steckt darin eine wichtige Botschaft verborgen; daß die Wärter genauso gefangen sind wie die Sträflinge. Diesen Eindruck verstärkt die Szene, in der Goryancikov entlassen wird; da hier der Platzmajor nach Verkünden der Neuigkeit selbst fast in Tränen ausbricht und sich wieder unter die Gefangenen mischt. Seltsam danach wieder die Tatsache, daß Goryancikov keine Anstalten macht, das imaginäre Gefängnis zu verlassen, sondern sich mit den Anderen wieder so auf die Bühne setzt, wie sie am Anfang saßen. Ein Anfang, an dem Goryancikov übrigens bereits anwesend war; er steht während der Instrumentaleinleitung des ersten Akts auf, um die "Sträflingskleidung" gegen einen Anzug zu tauschen. Um das kaum fünf Minuten später wieder rückgängig zu machen...

Für weitere Fragezeichen sorgte die Szene mit dem Adler - korrekter gesagt, mit einem älteren Gefangenen (Theo HAPKE), der mal eben mit ein paar Indianerfedern zum Vogel gemacht wird und dann wie an der Longe im Kreis "fliegt". Dementsprechend eher lächerlich auch die Szene der "Freilassung" des Adlers, der am Ende neben dem (wahrscheinlich toten) Aljeja steht und hin und wieder mit den "Flügeln" schlägt.

Und auch wenn viele der Regieanweisungen bestimmt nicht ganz so harmlos gemeint sind, wie Janacek sie in der Partitur formuliert - muß man deswegen in (fast) jede Szene etwas Anzügliches hineininterpretieren? Und wäre es vielleicht gegangen an einigen Stellen bei Andeutungen zu bleiben? Ich meine damit nicht nur das Theaterstück der Sträflinge, auch wenn mir die an Softporno grenzende Vorstellung ziemlich auf die Nerven ging - es geht mir auch um die Szene mit der "Landstreicherin", hier alias ?erevin. Was sich bei Janacek nur ankündigt, "dürfen" wir am vorderen Rand der Bühne miterleben. Aufgrund der Tatsache, dass der junge und der kleine Sträfling vom selben Sänger gespielt werden, sollte man meinen, dass er eigentlich grad was Anderes zu tun hat, als sich über Goryan?ikov und seinen Tee aufzuregen…

Wenigstens haben die Sänger die doch recht abwegige Inszenierung mit einem gewissen Leben gefüllt, denn im Allgemeinen zeichneten sich Solisten wie Chor oft durch auffallend gutes Schauspiel aus. Auch die meisten Figuren im Hintergrund werden überraschend gut charakterisiert, auch wenn genau diese Charaktere für den Irrenhaus-Eindruck verantwortlich sind. Es wird auf die Vordergrundhandlung reagiert und einige Leute aus dem Ensemble fallen durch "Verhaltensmuster" tatsächlich auf. Wenn das Ganze auch noch leiser gegangen wäre, dann hätte ich auch nichts dran auszusetzen... Obwohl, stören mich die Nebengeräusche bei dieser Musik wirklich so sehr?

Robert KÜNZLI als Luka Kuzmic/Filka Morozov verwirrt mich immer noch. Während seiner Geschichte im ersten Akt wollte man meinen, er kenne den Unterschied zwischen Singen und Grölen nicht. Im zweiten Akt aber erwies sich dieser Eindruck als falsch - nur wenige, dafür eher lyrische Zeilen hat er hier zu singen, und diese waren auf einmal überraschend wohlklingend, richtig schön anzuhören.

Ivan TURŠICs Skuratov brachte mich stellenweise an den Rand eines Lachanfalls, so sehr klang er wie jemand, der mit einer heftigen Verstopfung auf dem Klo sitzt. Franck SCHNEIDERS spielte den Platzmajor wie das Klischee eines Polizisten aus einem amerikanischen Film; Dirty Harry beispielsweise. Ob er tatsächlich so spricht oder sich absichtlich Mühe gab seine Stimme wie die eines Kettenrauchers klingen zu lassen, kann ich nicht sagen.

Stefan ZENKL in den vier Rollen des Wärters, des kleinen Sträflings, des jungen Sträflings und Elviras gehörte zu den Lichtblicken des Abends. Letztendlich spielte er die zusammengefaßte Rolle der unsympathischsten Person auf der Bühne und das ausgesprochen überzeugend. Seine sängerische Leistung dürfte neben der Šapkins eine der Besten des Abends gewesen sein, aber wirklich viel heißt das nicht...

Jörn EICHLER, der neben Šapkin auch Kedril spielte, war ebenfalls überdurchschnittlich erfreulich. Sein Schauspiel verstärkte den Irrenhaus-Eindruck noch weiter, aber er sang gut und Šapkins Geschichte war eine der wenigen Stellen, die bei mir eine emotionale Reaktion hervorrufen konnten. Brian DAVIS als Šiškov fällt in keins dieser Extreme. Er sang gut und ohne größeren Anlaß zur Kritik, aber sein Auftritt war auch nicht überwältigend und wirkte stellenweise etwas uninteressiert.

Roland WAGENFÜHRER brachte einen ausgesprochen amüsanten Betrunkenen auf die Bühne, dessen Gesichtsausdrücke, sowie empörte Proteste auf die Versuche der Anderen ihn zum Schweigen zu bringen, endgültig für den Lachanfall sorgten. Sowohl János OCSOVAI (Aljeja) und Jin-Ho YOO (Goryancikov) lieferten sängerisch wie schauspielerisch Leistungen ab, die man getrost vergessen kann, und deshalb weiß ich bereits jetzt nichts Genaueres über die Beiden zu sagen.

Wolfgang NEWERLA spielte als Don Juan den Cowboy und als Cekunov eigentlich gar nicht; Tadeusz GALCZUK traf sowohl als Cerevin wie auch als "Landstreicherin" seine Töne nicht immer und sämtliche weiteren kleinen Rollen fielen innerhalb des Chors nicht weiter auf. Wenn ich noch etwas Freundliches über diese Aufführung sagen wollte, dann daß ich sicherlich mehr gelacht habe als in jeder anderen Oper. Ob das bei einem Stück wie "Aus einem Totenhaus" ein Qualitätsmerkmal ist, ist mehr als fragwürdig. NG