"LE NOZZE DI FIGARO" - 19. Juni 2011

Mit einem sogenannten "festlichen Opernabend" verbindet man gemeinhin die Vorstellung, daß das hauseigene Ensemble mit einigen bekannten Namen für einen Abend verstärkt wird. Häufig ergibt sich dann die Situation, daß die Träger jener bekannten Namen ein wenig wie Fremdkörper wirken, sei es, weil es keine ausreichenden Proben gegeben hat, sei es, weil es nur als Gelegenheit genutzt wird, schnell Geld zu verdienen.

An diesem Abend in Hannover war es jedoch anders. Würde jemand behaupten, die Sänger hätten mehrere Wochen gemeinsame Proben absolviert, wäre dies ohne weiteres glaubhaft, so reibungslos fügten sich die beiden Stars Annette Dasch und Lucio Gallo in das Ensemble ein.

Dabei ist die Inszenierung von Ingo KERKHOF sehr bewegungsintensiv, das darstellerische Talent der Sänger ist stark gefordert auch dadurch, daß ein Bühnenbild (Anne NEUSER) nur angedeutet ist. Am Anfang sieht man sämtliche Beteiligten in einer Art Probenraum, komplett mit Flügel und Stühlen an einer Wand. Aus dieser Situation wird dann das Stück entwickelt, bis gegen Schluß das Ganze auf eine Probebühne wechselt. Das klingt zunächst irritierend, funktioniert jedoch auf faszinierende Weise und führt zu einem überaus lebendigen Abend. Es paßt auch zu dieser Produktion, daß Bartolo und Antonio sowie Basilio und Don Curzio von jeweils den gleichen Sängern verkörpert werden. Ein besonderes Lob ist hier Peter HÖRTNER für die Beleuchtung auszusprechen, dem es gelingt, bei einer fast leeren Bühne allein durch das Licht das Geschehen im dunklen Garten mit Verstecken und Verwechseln nachvollziehbar zu gestalten. Die Kostüme von Stephan von WEDEL fügen sich ohne weiteres in dieses Konzept ein.

Annette DASCH ist spielfreudig, jederzeit in der Rolle der Gräfin überzeugend. Merkwürdigerweise ist muß man ausgerechnet in den beiden Arien kleine Abstriche machen, da hier die Stimme unruhig wirkt, ein Phänomen, was sich in den Ensemble-Szenen interessanterweise nicht zeigt. Lucio GALLO gelingt es immer wieder, durch überraschende, überaus spontan wirkende Nuancen in Phrasierung und Spiel plötzlich eine andere Facette des Grafen sehen zu lassen. Auch nach diversen Verdi-, Puccini- und Wagner-Partien ist der Sänger bei Mozart noch immer in seinem Element. Nicht verstecken müssen sich dahinter Susanna und Figaro.

Ania VERGRY wirkte ausgesprochen jung, ließ aber eine vollständig durchgebildete, in jeder Lage absolut sichere Stimme mit erfreulichem Timbre hören, die in einigen Jahren auch dramatischere Rollen erwarten läßt. Dazu spielt sie erfrischend, sieht auch noch sehr attraktiv aus, und weiß zu phrasieren. Tobias SCHABEL läßt einen schönen, Baßbariton hören, mit dem er umzugehen weiß. Auch darstellerisch kann er entsprechend auftrumpfen, so daß zwei sehr gleichwertige Paare auf der Bühne stehen.

Auch die weiteren Rollen sind erstklassig besetzt: Als Monika WALEROWICZ als Cherubino auf die Bühne kam, war ich für einen Moment überzeugt, daß dort keine Sängerin in einer Hosenrolle, sondern tatsächlich ein männlicher Teenager stehen würde. Neben dieser glaubwürdigen Darstellung trug auch die sehr gute stimmliche Leistung zu einem schlüssigen Rollenporträt bei. Francisca PRUDENCIO war eine süßstimmige Barbarina, die sehr überzeugend spielte, daß das Mädchen, nachdem - angenehm subtil - angedeutet wird, daß Basilio offenbar am Ende des dritten Aktes übergriffig geworden ist, etwas ganz anderes verloren hat als eine Nadel. Zusammen mit Gergana KOSTOVA bildete Francisca Prudencio auch ein Mädchenduo auf höchstem Niveau.

Katja BEER war als Marcellina stimmlich und körperlich weit weg von einer alten Matrone, schon allein ihre heftige, nicht nur verbale Auseinandersetzung mit Susanna zeugt davon, trotzdem schaffte sie es durch Haltung und kleine Gesten, dreißig Jahre älter zu wirken, als sie tatsächlich sein dürfte. Shavleg ARMASI überzeugte sowohl als Bartolo als auch als Antonio, wobei er mit nur wenigen Kostümdetails und einem Wechsel in der Haltung vollkommen unterschiedlich wirkte. Auch sein warmtimbrierter Baß und der Sinn für Timing überzeugten. Jörn EICHLER (Basilio/Don Curzio) war mit ganz gelegentlichen Schärfen in der Stimme als Basilio inszenierungskonform widerlich und als Cuzio bemitleidenswert.

Das NIEDERSÄCHSISCHE STAATSORCHESTER HANNOVER spielte unter Andrea SANGUINETI einen hochkonzentrierten, fehlerlosen Abend. Der Dirigent sorgte dafür, ohne dabei durch die Partitur zu hetzen, daß die musikalische Seite der schnellen, lebendigen Handlung in Nichts nachstand. Ein unbedingter Gewinn für den Abend. Der CHOR DER STAATSOPER HANNOVER (Leitung Dan RATIU) absolvierte nicht nur den Auftritt durch den Zuschauerraum souverän, sondern trug zu diesem hochklassigen Abend seinen Teil bei.

Auch ohne das Etikett "festlicher Opernabend" dürfte es ausreichend Gründe geben, sich diese Produktion anzusehen. MK