"DIE VERLOBUNG IM KLOSTER" - 16. Januar 2011

Prokofjew schrieb diese Buffo-Oper 1940 in Moskau. Man probte bereits, aber wegen des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Juni 1941 wurde die Premiere abgesagt und fand erst im November 1946 in Leningrad statt. Als Gegenstück zu "Liebe der drei Orangen" konzipiert, basiert diese närrische Geschichte auf einem englischen Libretto von Richard Brindley Sheridan (genannt der "englische Beaumarchais") für das Vater-und-Sohn-Team Thomas Linley sen. und jr., die zusammen die komische Oper - eher ein Vaudeville - "The Duenna", meist aus damals populären Melodien bestehend - 1775 in Covent Garden zur Aufführung brachten.

Ein Libretto für eine typische Spieloper, wie es im 19. Jahrhundert viele gab, die heute kaum, oder gar nicht mehr gespielt werden. Die passabel absurde Geschichte spielt im Spanien des 17. Jahrhunderts, mit allen Vorurteilen der Zeit über dieses "exotische" Land: es geht viel um Ehre und Anstand, und der reiche Fischhändler Mendoza trägt den Vornamen Isaac und ist natürlich Jude. Das Beste daran ist, daß die Handlung die ebenso chaotische Heirat Sheridans und Flucht nach Paris nach Entführung von Elizabeth Linley, der Tochter, bzw. Schwester der beiden Komponisten wieder spiegelt! Sheridan lieferte nur tropfenweise und nicht in Reihenfolge die Texte, um seinen Schwiegervater, mit dem er sich ausgesöhnt hatte, nicht wieder an unliebsame Dinge zu erinnern. Auch der britische Humor hat Grenzen!

Prokofjews zweite Frau, Mira Mendelson hat das englische Boulevard-Stück übersetzt und schrieb mit dem Komponisten das russische Libretto. Prokofjew stand damals auf - relativ - gutem Fuß mit Stalins Regime, das das Werk zuließ, zumal der Text einige Stellen krassen "Antiklerikalismus' einflicht. Prokofjew wurde auch kurz vorher "beauftragt" eine Lobeshymne ("Zdravitsa") auf den Diktator zu komponieren, obwohl dieser seinen Freund Meyerhold kurz vor her erschießen hatte lassen.

Musikalisch folgt die "Verlobung im Kloster" ganz dem grotesken Stil der "Liebe der drei Orangen", beginnend mit dem knalligen Marsch der Ouvertüre. Auch die "Probe" im Haus Jérômes mit einem Drei-Mann-"Ballorchester" bestehend aus Klarinette, Trompete und großer Trommel, ist nicht von schlechten Eltern - wobei der Klarinettist mitten drin aufs Klo muß. Musikalisch denkt man dabei natürlich an die "Leutnant Kitje"-Suite. Die Stimmen sind sehr ausgewogen behandelt, denn die sieben Hauptrollen haben praktisch gleiches "Gewicht" und umfassen alle Register und Timbres - vom Koloratursopran bis zum basso cantate.

Auch die Orchester-Stimmen sind sehr gut verteilt, und die Bläser sind sehr beschäftigt. Prokofjew hat sich auch von seinen Zeitgenossen inspirieren lassen, und besonders die kurzen Seelen-Ergüsse der beiden jungen Frauen, Louisa und Clara, haben die Dichte und Bögen der Strauss'schen "Arabella". Doch die chaotische, rasante Handlung läßt kaum viel Zeit und Gelegenheit, diese wirklich zu vertiefen. Alles verläuft im Wirbelwind der Geschehnisse. Die Chöre sind durchwegs ausgewogen und in der russischen Tradition verwurzelt, wie der äußerst amüsante Chor der Fischweiber der Firma Mendoza. Der Presto-Saufchor der Mönche zu Beginn des 4. Akts, denn diese Orgie kann man nicht als "Trinklied" bezeichnen, wird bei Erscheinen Mendozas und Don Jérômes in einen Reue- und Fasten-Choral verwandelt, der die selbe Melodie verwendet, nur diesmal Largo! Umwerfend!

Die "Verlobung", selten aufgeführt (1989 Wexford, 2006 Glyndebourne, 2008 Valencia), ist bereits 1993 in Strasbourg und Toulouse gespielt worden. Diese neue Produktion wurde gemeinsam mit der Opéra comique in Paris (wo die Produktion im Februar gezeigt wurde) konzipiert und dem britischen Regisseur Martin DUNCAN anvertraut, dem fulminanten, chaotischen Libretto und ständig wechselnden Szenen entsprechend; und da es eine Reiseinszenierung ist, waren die Bühnenbilder praktikabel und auf einige Wände, Türen, Stiegen, Leitern, Tische, Stühle beschränkt - von letzteren hängen auch einige auf den Beleuchtungspfosten.

Altmeisterin Alison CHITTY hatte diese passende Lösung gefunden und auch die meist traumhaften Kostüme entworfen. Die Verkleidungen der Damen waren umwerfend und sehr glaubhaft, denn selbst die Herren erkannten ihre Geliebten nicht. Sehr gelungen, wenn bisweilen ein Sänger von einer 6 oder 7 m hohen Leiter durch ein Fenster singt. Martin Duncan hat zahlreiche Gags passend eingebaut, was das Publikum mit Lachstürmen quittierte. Dieses optimal organisierte Chaos wurde präzise von Paul PYANT beleuchtet. Die Tanzeinlagen waren bisweilen recht akrobatisch und bestens von Ben WRIGHT koordiniert.

Der russische Chefdirigent des ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE in Toulouse, Tugan SOKHIEV (wie Gergiev aus Ossetien), hatte die Idee des ganzen Projekts, denn er hatte die Oper bereits in St. Petersburg dirigiert. Bei dieser Gelegenheit hat er gleich den drei Viertel der Besetzung mitgebracht. Sokhiev dirigierte mit hörbarer Begeisterung und großer Liebe für die Musik und koordinierte das hervorragende Einverständnis zwischen Graben und Bühne. Alfonso CAIANI hatte den CHŒUR DU CAPITOLE einstudiert und das funktionierte hervorragend, denn alle - Saufbrüder, Fischweiber oder Hochzeitsgäste - amüsierten sich bestens auf Russisch.

Mit Ausnahme zwei britischer Sänger waren die zahlreichen Rollen aus St. Petersburg importiert worden. Als Don Jérôme war der Brite Brian GALLIFORD ganz ausgezeichnet; er setzt seinen angenehmen Charaktertenor sehr gut ein und spielt blendend den kuppelnden Vater, der nur ans Geld denkt und allen Vätern mehrmals versichert, welche Katastrophe eine heiratsfähige Tochter sei. Sein Sohn Don Ferdinand, der die hübsche Clara d'Almanza haben will, ist hier - überraschenderweise - ein Bariton. Garry MAGEE spielte sehr engagiert den sehr eifersüchtigen Liebhaber, der Don Antonio, den Verehrer seiner Schwester Louisa, die als Clara verkleidet ist, zum Duell fordert; was - natürlich - zu einer spanischen Messerstecherei führt. Daß er auch blendend singt und gut aussieht, ist natürlich ein Vorteil.

Louisa ist sozusagen die "Heldin" der Oper, Don Ferdinands Schwester und Tochter Don Jérômes. Anastasia KALAGINA spielte diese streitbare und dickköpfige Tochter und sang hinreißend mit vollendeter Technik; eine große Karriere ist hier im Kommen. Ihre Amme, eben die "Duenna", sang eine der großen Stimmen der russischen Szene, Larissa DIADKOVA, die nicht nur eine großartige Altistin ist, sondern auch mit trockener Komik umwerfend spielt. Da ihr sogenannter Liebhaber, der Fischhändler Mendoza, Mikhail KOLELISHVILI mit prachtvollem, pech-schwarzem Baß und langen Bart mehr als einen Kopf größer ist als sie, waren sie wohl eines der komischsten Paare seit Jahren.

Don Antonio, Louisas Liebhaber, ist ein armer Schlucker ohne Geld. Diese Rolle sang hervorragend ein weiterer Star des Marinskii Theaters, Daniil SHTODA, der schon oft bei russischen Gastsspielen zu erleben war. Seine gut tragende lyrische Stimme, die er seit Jahren kultiviert, ist dramatischer und stärker geworden. Eine weitere bekannte Sängerin aus der Sänger-Fabrik des Marinskii war die bildhübsche Anna KIKNADZE als Clara d'Almanza, die die um ihre "Ehre" besorgte Adelige (Don Ferdinand ist in ihr Zimmer "eingedrungen") mit passendem Snobismus und prachtvollem Mezzo darstellte.

Der etwas naive Don Carlos, der sich vergeblich auch auf Louisa spitzt, aber nur immer die Türen auf die Nase geknallt kriegt, war mit Yuri VOROBIEV passend besetzt. Eine ganze Schar von kleineren Rollen vervollständigten die Besetzung vortrefflich: zuerst die ganze Truppe versoffener Klosterbrüder, angeführt von Pater Augustin (Eduard TSANGA) und den Brüdern Elustaphe (Vasily EFIMOV), Chartreuse (Marek KALBUS) und Bénédictine (Mischa SCHELOMIANSKI), sowie zwei Novizen, Claude MINICH und Emmanuel PARRAGA. Die drei Brüder mit den Schnaps-Namen waren auch die in verschiedenen Szenen auftretenden Masken. Die beiden passenden Zofen Lauretta und Rosina waren Leonora VINDAU und Catherine ALCOVERRO. Als Lopez, Don Jérômes Faktotum, fungierte Alfredo POESINA, der u. a. auch die Gäste ankündigen mußte, z. B. "Don Miguel, Don Juan und Don Quixotte mit Gattinnen"!

Es war eine ausgezeichnete Initiative diese "Verlobung im Kloster" wieder aufzuführen und dem begeisterten Publikum (es gab mehrmals Szenenapplaus) vorzustellen. wig.