"FALSTAFF" - 4. Dezember 2011

Nach dem Triumph von "Aïda" 1871 wollte sich Verdi zur verdienten Ruhe setzen und von seinen Tantiemen leben. Er machte allerdings nach drei Jahren eine Ausnahme: das "Requiem" für seinen Freund Manzoni - sozusagen als Schlußstrich seiner Karriere und seines eigenen Lebens. Doch seine Freunde Boïto und Ricordi wußten, dass man den greisen Meister von Roncole mit Shakespeare aus seinem Pensionisten-Leben locken konnte. Nach vier Jahren des Drängens Boïtos und ebenso vielen Jahren Arbeit Verdis wurde "Otello" 1887 an der Scala triumphal uraufgeführt. Und was selbst seine Freunde nur zu träumen wagten, Verdi ging zwei Jahre später spontan auf ihren Vorschlag ein, eine Komödie zu vertonen, "Falstaff" von Boïto aus Shakespeares "Lustigen Weibern von Windsor" und "Heinrich IV" zusammen gebastelt.

"Falstaff" wurde ziemlich rasch geschrieben und am 9 Februar 1893 an der Scala uraufgeführt. Man überlege, Verdi hatte nur einmal, fünfzig Jahre vorher eine Komödie vertont ("Il Giorno di Regno"), die ein totaler Flop war und nun mit fast achtzig Jahren setzte er sich nochmals an seinen Tisch und schrieb diese geistvolle, ganz andere und wohl reichste Partitur seines Lebens. Er wollte sich nochmals messen und seine Erfahrung teilen. Kein Stretta-schmetternder Tenor, keine tränenreiche Leonore, kein Bösewicht-Bariton, nein der Bariton ist der Anti-Held schlechthin, dessen übergroßes Ego man nur belächeln kann. Und Verdi leistete sich den Luxus, mit einer Fuge zu schließen: "Tutta nel mondo e burla", ein burlesker, fast zynischer Abschied vom Theater und seinem Schaffen. Welches Testament!

Die Produktion in Toulouse ist zwar bereits zwanzig Jahre alt, hat aber den großen Vorteil keinerlei Mätzchen zu frönen. Nicolas JOEL, der ehemalige Direktor des Hauses und jetzt Chef der Pariser Oper, ist auch - oder vor allem - ein weltweit bekannter, sehr erfolgreicher Regisseur. Seine Inszenierung ist nun bei der 3. Wiederaufnahme und wird immer noch gefallen, dank seines Assistenten Stéphane ROCHE, der alle Inszenierungen in Toulouse betreut. Für die stilvollen Bühnenbilder und Kostüme zeichnete ein alter Mitstreiter Joels, der italienische Ausstatter Carlo TOMMASI. Ein anderer Freund, Vinicio CHELI, stellte die passende Beleuchtung bei.

Die Handlung spielt im 16. Jahrhundert zu Shakespeares Zeiten - nicht in Sibirien oder auf dem Mond. Das "Gasthaus zum Hosenband" ist eine stilisierte gotische Halle, das Patrizier-Haus Fords zeigt ein Renaissance Stiegenhaus und das Schlußbild spielt vor einer riesigen fünfhundertjährigen Eiche. Einige geistvolle Ideen ergänzen das bunte Geschehen. Im 1. Bild packt Pistola einfach eine der großen Bänke, um Dr. Cajus zu verprügeln. Kurz darauf für "L'onore!", hebt Falstaff das Vorderteil des riesigen Gasttischs an und läßt ihn wieder fallen - der Krach jagt den beiden Dienern erklärliche Angst ein. Falstaffs feuerrotes Prachtkostüm, mit rotem Zylinder und Halskrause ist prachtvoll. Die vier Damen sind in herrlichen stilvollen Kleidern ebenfalls mit Halskrause gekleidet. Ford erscheint als Signore Fontana in einem eleganten goldenen Kostüm mit einem Barett eines Lords. Eine Augenweide! Zu Beginn des 3. Akts zittert der triefende Falstaff in einem großen fetzigen Handtuch und jammert, während seine Kleidung überall trocknet, u. a. seine lange Unterhose auf einer Leiter rechts vorne. Sein - künstlicher - Wanst prallt aus dem Lacken hervor und in seinem philosophischen Monolog "Mondo reo!"reißt er sich seine grauen Haare vom Bauch - zum Schreien!

"Falstaff" ist eine geistreiche Oper, die Erfahrung bedarf, kein Werk für Neulinge. Die Sänger des Falstaff sind immer große Baritone über 50. Nun hat Alessandro CORBELLI sich des Sir Johns angenommen. Im Gegensatz zu den meisten anderen hat er sich als Don Pasquale, Dandini, Don Magnifico, Figaro, Malatesta, Dulcamara, Bartolo, d. h. im komischen Fach einen großen Namen gemacht. Hier konnte Corbelli zeigen, daß er nicht nur die leichten - sprich eher blödelnden - Rollen beherrscht, sondern daß seine lange Erfahrung verschiedenster Rollengestaltungen dem Falstaff in Stimme, Ausdruck und Spiel sehr zu gute kommt. Corbelli ist ein Charakterbariton ganz großen Formats. Bereits, als er zu Beginn "Un' acciuga!" im Falsett haucht, ist große Kunst. Sein trockenes "No!" in "L'onore!" versteht keine Widerrede. Die hingeblätterte Ariette "Quand' erro paggio" ist ein Spiel für Corbelli dank seiner phantastischen Technik. Und das den ganzen Abend - hinreißend und philosophisch! Man könnte sich vorstellen, daß Corbelli nun auch andere Rollen im Charakterbariton-Fach singen könnte, warum nicht Posa, Atilla, die Dogen Foscari oder Boccanegra?

Das Schöne an dem Abend war, dass nicht nur der Titelheld, sondern die gesamte, internationale Besetzung hervorragend war. Die Damen und Herren hatten die richtigen Stimmen, um die beiden mehrmals getrennten Ensembles, das Damen-Quartett und das Herrenquintett, blitzsauber und passend presto zu singen, was nicht immer so gut klingt. Die Damen wurden von der Mrs. Alice Ford von Soile ISOKOSKI angeführt. Sie singt ausgewählt kultiviert ihre Phrasen und spielt die Drahtzieherin der verkappten Geschichte mit Eleganz und Charme. Die große finnische Sopranistin hat hier eine weitere brillante Rolle ihrem bereits ansehnlichen Repertoire hinzugefügt. Als Mrs. Meg Page war die attraktive Albanerin Enkelejda SHKOSA mit angenehmem Mezzo äußerst passend. Mrs. Quickly war in den bewährten Händen von Janina BAECHLE. Man könnte ihr nur vorwerfen, daß sie zu groß ist, denn sie dominierte die ganze Damenriege um einen Kopf! Als Nanetta war eine gut bekannte Slowakin zu hören, Adriana KUCEROVÁ, (ausgezeichnetes "Schlaues Füchslein" in de Bastille). Sie rief mit viel Herz die Geister "Ninfi, Elfi, Silfi, Doridi, Sirene!" und spielte entzückend. Und schmuste dezent mit ihrem Fenton. Die herrlichen Kostüme von Carlo Tommasi zeigten die Damen in sehr vorteilhaftem Licht!

Obwohl die Herren bei Verdi ja oft nicht sehr gut wegkommen, war hier ebenso ein ausgesuchtes Team am Werk. Geführt von dem hervorragenden Ford/Fontana von Ludovic TÉZIER, der seiner Eifersucht in der hinreißenden Arie im 2. Akt "E sogno?" freien Lauf läßt. Die Stimme ist etwas zu groß für das intime Théâtre du Capitole. Ein Heldenbariton! Man fragt sich nur, wann er Wotan singen wird! Die beiden Lumpen von Dienern waren auch nicht übel: Emanuele GIANNINO als Bardolfo (mit roter Schnapsnase) spielte ein Kabinettstück von versoffenem Subjekt. Diogenes RANDES mit riesigem Baß (und Statur) als Pistola war eine Luxusbesetzung. Dr. Cajus wurde von Gregory BONFATTI trefflich verkörpert, der schwört, sich nie mehr mit solchen Lumpen zu betrinken - wenn man ihm glauben könnte. Als junger Liebhaber Fenton - eine beliebte "Sprungbrett"-Rolle - sang der junge Spanier Joel PRIETO "Dal labbro il canto" mit großem Talent; Namen merken!

Die musikalische Leitung der Aufführung hatte Daniele CALLEGARI inne. Der elegante Italiener hatte sichtlich gezielt und gut geprobt, denn das ORCHESTRE DU CAPITOLE spielte wie am Schnürchen. Die Ensembles waren perfekt und präzise in den richtigen Tempi, die ritardandi dort, wo sie sein sollen, ein wahrer Maestro! Der CHŒUR DU CAPITOLE unter der Leitung von Alfonso CAIANI sang prächtigst, und die Stimmung war ausgezeichnet.

Großer Applaus für das ganze Ensemble, natürlich ein Triumph für Corbelli. Ein prachtvoller Abend! wig.