Foto: Hans Gärtner

"LOHENGRIN" - 7. Dezember 2012

Ein Gralsritter aus Glanz und Wonne
Jonas Kaufmann sang in Mailand seinen bislang subtilsten Lohengrin

Aufregung am Tag vor San Ambrosio, Schutzpatron Mailands und der "Scala". Hier wäre beinah die Spielzeit-Eröffnung, traditionell am 7. Dezember, zur (Society-)Katastrophe geraten. Daß Maestro Daniel BARENBOIM statt mit dem Geburtstags- und Landes-"Kind" Giuseppe Verdi mit dessen Kontrahenten Richard Wagner, ebenfalls ein 2013-er Wiegenfest-Jubilar, in die Saison 2012/13 einsteigt, boykottierte der "Scala"-Intendant mit kalter Schulter und Premieren-Abwesenheit

Egal - die Wagner-Chose lief auch ohne ihn - und zwar grandios, was Barenboims durchgefeiltes, impulsiv-abgeschattetes, farbschillerndes Dirigat betraf. Die Chose lief, was zu erwarten war, auf allerhöchstem Niveau, und zwar inszenatorisch wie sängerisch - dank Claus GUTHs einzigartig psychodramatischer "Lohengrin"-Deutung, für die sein Leib- und Magenpartner Christian SCHMIDT ein zwischen Schelde-Schilf-Brautbett und Renaissance-Arkaden-Festung angelegtes Bühnenbild voller geheimnisvoller Zeichen und nachtdunkler Atmosphäre schuf. Dank aber auch Annette DASCH. Die Berlinerin sprang einen Tag vor der Premiere mutig für die erkrankte Anja Harteros ein: mit Bravour und hohem Adel.

Daschs Elsa ließ nichts an darstellerischer Intensität und stimmlicher Hochseilakt-Bewältigung vermissen. Sie fand sich traumwandlerisch in Guths morbides Konzept mit Kindheits-Reminiszenzen, höherer-Tochter-Klavierstunde und einem schemenhaft agierenden Chor hinein. Mit Jonas KAUFMANN hatte sie schon den Bayreuther Neuenfels-"Lohengrin" 2010 absolviert. Der gebürtige Münchner nützte die Chance, einen Anti-Helden mit epileptisch zuckenden Attacken zu Beginn und kurz vor dem "Lieben Schwan"-Ade, barfuß und oft in scheuer Reh-Pose geben zu dürfen. Bei all dem kam Kaufmann, als armselig-mitleidserfüllter Gralsbote, den ein beschuldigtes irdisches Mädchen zu Hilfe rief, aus wagnerschem Glanz und textadäquater Wonne daher. In Milano gab der blendend disponierte Supertenor aus Monaco seinen bislang wohl subtilsten Lohengrin. So wunderbar entrückt wie ihm hier - eigentlich alles, aber ganz besonders die Gralserzählung gelang, gebührt ihm der Lorbeer des derzeit eindrücklichsten Lohengrins.

Daniel Barenboim wartete mit einer superben Solistenriege auf: Das Intrigantenpaar spielte und sang betörend, brutal und aufregend: Evelyn HERLITZIUS als keifende Ortrud und Tomas TOMASSON als viriler Telramund. Heinrich der Vogler war bei René PAPE ein kraftvoll-nobler, alle Baß-Register prächtig ziehender König in Bismarck-Uniform. Geradezu balsamisch forderte Zeljko LUCIC als Heerrufer die Kontrahenten zum Kampf.

Das Premierenpublikum tobte ob dieses fulminanten neuen "Lohengrin" am berühmtesten Opernhaus der Welt. Wohl erkennend, daß Stil und dramatische Wucht dieser gewagt-intelligenten Psycho-Deutung mit der Italianità eines Giuseppe Verdi durchaus vereinbar ist. HaG