"OEDIPE" - 28. Dezember 2013

Als ich mich entschloß, in Frankfurt/Main eine Oper zu sehen, konnte ich eigentlich nur mit einem einzigen Namen etwas anfangen: Hans NEUENFELS. Und dieser hat mit seinem Hamburger "Fidelio" nicht gerade darum gebettelt, sich noch eine Regie von ihm antun zu müssen.

Er inszenierte dort "Oedipe" von George Enescu (1881-1955), ein rumänischer Komponist, der früh nach Paris auswanderte und unter anderem Yehudi Menuhin unterrichtete. Aufgrund zahlreicher anderer Tätigkeiten dauerte die Komposition zehn Jahre. Uraufgeführt wurde sie fünf Jahre nach ihrer Fertigstellung 1936 in Paris in französischer Sprache. Musikalisch ist sie sehr in der slawischen Spätromantik verwurzelt und verweist auch schon in die Moderne. Insgesamt ein sehr hörenswertes, wenn auch nicht allzu leichtes Stück.

Vertont wurde der Ödipus-Mythos: Dem gerade geborenen Sohn vom thebanischen Königspaar Laios und Jokaste wird prophezeit, daß er einst seinen Vater umbringt und seine Mutter heiratet. Ein Hirt gibt ihn entgegen der Anweisung, ihn auszusetzen, dem korinthischen Königspaar Polybos und Merope. Einige Jahre später erschlägt Ödipus einen Mann, von dem er nicht weiß, daß es sein Vater ist. Außerdem besiegt er die Sphinx, wodurch er König von Theben wird und die verwitwete Jokaste heiratet. Wieder einige Jahre später wütet die Pest in Theben. Laut Prophezeiung soll diese erst dann verschwinden, wenn der Mörder von Laios gefunden wurde. Als er herausfindet, daß er es war, blendet sich Ödipus und flieht mit seiner Tochter Antigone. (Sie gelangen nach Athen. Nach einer kurzen Geiselnahme von ihr durch den Bruder von Jokaste Kreon, wird ihm von König Theseus Asyl gewährt.)

Gespielt wurde die um den 4. Akt (den Teil in Klammern) gekürzte Version in der eigens für die Frankfurter Produktion angefertigten deutschen Übersetzung des dortigen Dramaturgen Henry Arnold. Auch wenn ich zugeben muß, daß ich die Argumente für die Streichung durchaus nachvollziehen kann und die deutsche Sprache sehr gut paßt: Ich möchte die Stücke bitte in der Originalsprache und ungekürzt sehen!

Aber das war dann doch das geringste Übel. Im Interview, das im Programmheft zu lesen ist, äußert Neuenfels viele sinnvolle Gedanken. Der Ansatz, daß ein Archäologe bei Ausgrabungen auf Relikte stößt, sich in die Story hineinziehen läßt und so selbst zu Ödipus wird, ist durchaus gut gelungen, aber der Rest erschließt sich mir so gar nicht. Weshalb trägt Kreon ein Kleid? Warum trägt der Hirte ein Schafskostüm? Warum sind die Wärter der Sphinx, die häufig zu sehen sind (und somit wohl als Handlanger dieser arbeiten), Punks? Warum hat die (weibliche) Sphinx einen Penis, an dem sich die Titelfigur oral verlustiert? Muß Laios wirklich seinen Sohn anpinkeln, damit selbiger die Motivation hat, den Urinierenden zu erschlagen? In einer reinen Chorszene steht Ödipus vor selbigem und gestikuliert so, als würde er sprechen. Welchen Anhaltspunkt gibt es, daß er an einer Stelle nicht gehört wird, und muß man das echt so machen? So viele Fragen und so wenig Lust, darauf eine Antwort zu finden...

Das Bühnenbild von Rifail AJDARPASIC wird bestimmt von großen Tafeln, auf die viele Formeln geschrieben sind und an die Texte (in der Sphinx-Szene die Übertitel) projiziert werden. Elina SCHIZLER entwarf die Kostüme, die im großen und ganzen gut passen mit Ausnahme des Kleides für Jokaste in ihrer letzten Szene, welches vermutlich der wahre Grund dafür ist, daß Ödipus sich geblendet hat...

Simon NEAL in der Titelrolle, welche auch die einzige wirkliche Hauptrolle ist, absolvierte die anspruchsvolle Partie ohne Fehl und Tadel, allerdings war seine Interpretation mir zu unsympathisch, so daß es schwer fiel, Mitgefühl für ihn zu empfinden. Abgesehen von der Tötung seines Vaters (bzw. aus seiner Sicht des Fremden, der ihn angepinkelt hat) macht er ja nichts Unrechtes.

Ein sängerisches Highlight war Tanja Ariane BAUMGARTNER (Jokaste), der insbesondere in der Szene mit ihrem Bühnensohn eine sehr eindringliche Darbietung gelang. Der zweite Höhepunkt war Kihwan SIM als Phorbas, welcher mit seinem herrlich strömenden Baß Ödipus einen väterlichen Freund darbot.

Bei Magnus BALDVINSSON (Tiresias) habe ich ein wenig die "Mystik" für seine Prophezeiungen vermißt. Dietrich VOLLE (Kreon), Michael MCCOWN (Hirte) und Hans-Jürgen LAZAR (Laios) sangen grundsolide ohne sonderlich aufzufallen ebenso wie Vuyani MLINDE als Hohepriester. Andreas BAUER konnte als Wächter der Sphinx einen positiven Eindruck hinterlassen.

Selbige wurde von Katharina MAGIERA durchweg überzeugend gesungen. Britta STALLMEISTER ließ als Antigone aufhorchen. Schade, daß sie sich im 4. Akt nicht mehr profilieren konnte... Jenny CARLSTEDT (Merope) ergänzte solide.

Am Dirigat von Alexander LIEBREICH gibt es wenig zu beanstanden. Er hatte das FRANKFURTER OPERN- UND MUSEUMSORCHESTER stets gut im Griff. Ich hätte mir jedoch etwas mehr Dynamik gewünscht. Es wirkte ein wenig statisch. Der CHOR und EXTRACHOR DER OPER FRANKFURT unter Matthias KÖHLER absolvierte seinen Part schlichtweg grandios. WFS