"MACBETH" - 29. Dezember 2013

Meine Idee, jedes Opernhaus Deutschlands einmal besucht zu haben, gepaart mit dem Wunsch, in jeder Saison einen "Macbeth" zu sehen, trieb mich "zwischen den Jahren" nach Mainz. Ein kurzes Anhören der Sänger im Internet verhieß nichts sonderlich Negatives, Bilder und der Trailer aus der Produktion ließen mich jedoch skeptisch werden... Wenn ausgerechnet Musik ausgewählt wird, bei der der Chor schon in der Kantine sitzt, während das Orchester gerade bei der Hälfte ist, bleibt eine gewisse Voreingenommenheit zurück. Und auch die Tatsache, daß in der Einführung extra herausgestellt wurde, dass es in der Oper Figuren gibt, die keinen richtigen Namen haben (Mörder, Arzt,...), machte mir etwas Angst. Das ist nun auch nicht soooo selten.

Aber wenden wir uns zunächst der musikalischen Seite zu. Schnell zeigt sich, daß der Ausschnitt nicht repräsentativ war. Die seltenen Male, daß Bühne und Orchester auseinander liefen, wurden von Hermann BÄUMER schnell korrigiert. Er leitete das PHILHARMONISCHE STAATSORCHESTER MAINZ sehr kompetent. Der GMD ging das Stück eher vom späten Verdi an. An manchen Stellen war es mir zu wenig pointiert, fast so, als wäre eine Stimme gestrichen worden, aber im Großen und Ganzen war es eine sehr gute Leistung.

Ein großes Lob auch an den CHOR und EXTRACHOR DES STAATSTHEATERS MAINZ unter Sebastian HERNANDEZ-LAVERNY, der seinen Part hervorragend und mit viel Spaß sang. Die SchülerInnen des FRAUENLOB-GYMNASIUM MAINZ unter David SCHMAUCH spielten auf einem guten Niveau die Bühnenmusik zu Duncans Auftritt im ersten Akt. Gespielt wurde übrigens die 1865-Version ohne Ballett, den letzten Hexenchor "Ondine e Silifidi" und Macbeths Todesszene

Heikki KILPELÄINENs Macbeth gefiel insbesondere in den leiseren Passagen. Er verfügt über ein exzellentes Piano. Für die dramatischen Teile fehlt ihm allerdings noch das gewisse Etwas. Das klingt einfach stellenweise zu brav, fast so, als würde er sich nicht trauen, auch mal aus sich heraus zu gehen. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ansonsten durchaus positiv auffiel.

Er stand jedoch ein wenig im Schatten seiner Lady in Gestalt von Karen LEIBER. Sie gestaltete die Rolle mit der nötigen Herrschsucht und Dominanz ihrem Bühnengatten gegenüber. Auch darstellerisch vermochte sie, das rüberzubringen. Eine etwas ausgesungene Höhe sei der Vollständigkeit halber vermerkt, paßte aber auch zu der Rolle.

Thorsten BÜTTNER sang einen sehr frischen Macduff, dessen Arie zu Herzen ging. Ein Versprechen für die Zukunft! Er ergänzte sich zudem gut mit dem Malcolm des ebenfalls sehr hörenswerten Agustin SANCHEZ - was macht der im Chor? José GALLISA (Banco) machte seine Sache ordentlich, aber ohne nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.

Patricia ROACH (Kammerfrau) sang solide, ebenso wie Dietrich GREVE, der die Partien des Arztes, Dieners, Mörders und Herolds übernahm, die eigentlich zu einer einzigen Rolle zusammengefaßt wurden. Sehr beeindruckt hat mich die Fähigkeit von Anke TRITTIN aus dem Chor, welche alle drei (!) Erscheinungen in Original-Tonlage sang - also auch die erste, die normalerweise mit einem Baß oder Bariton besetzt wird. Robin YILMAZ (Fleance) hat in der Banco-Szene ein bißchen zu viel gemacht. Karl ADLER spielte den Duncan ordentlich.

Und dann war da noch die Inszenierung. Meine Kolleginnen AHS und MK haben einst die Regel aufgestellt, daß je besser der Programmhefttext des Regisseurs ist, umso schlechter die Inszenierung wird. Das Interview mit der Regisseurin Tatjana GÜRBACA gehört für mich zu den brillantesten Analysen, die ich je zu diesem oder einem anderen Stück gelesen habe. Aber zum Glück bestätigen Ausnahmen ja die Regel.

Die Produktion strotze nur so vor noch nie gesehenen, genialen Einfällen. Diese zweispätige Stimmung, die die Oper durchzieht, wurde herausragend eingefangen. Ständig passiert irgendwas auf der mit Sonnenblumen übersäten Bühne von Stefan HEYNE und in den passenden Kostümen von Silke WILLRETT. Sollte sich der Sinn von Aktionen nicht von vornherein erschließen, sorgt ein kleiner Blick auf die Übertitel (hier eher "Nebentitel") für Klarheit. Die Grenze zur Albernheit wird nicht überschritten, sondern behutsam verschoben. Doch nicht nur die äußerst lustigen Momente gefallen. Gürbaca schickt einen durch alle Emotionen. Es ist auf der einen Seite sehr leicht, aber auch sehr ernst und verblüffend textnah inszeniert. Eine wahre Meisterleistung ist es, die doch etwas isolierten Szenen im letzten Akt (Chor/Macduff-Arie, Wahnsinnsszene, Macbeth-Arie) so geschickt miteinander zu verbinden. Eine Aufzählung ausgewählter Szenen würde vermutlich einen falschen Eindruck erwecken. Die Regie funktioniert als Gesamtkunstwerk. Das ist Regietheater - nein, das ist Musiktheater! WFS