"TOSCA" - 13. Mai 2007

Ich gebe es zu, ich bin ein Fan. Schon als Siebenjähriger habe ich mit meiner jüngeren Schwester "Tosca" gespielt. Als Elfjähriger wechselte ich dann von Cavaradossi zu Scarpia, und dieser stilvolle Erzschurke hat mich eigentlich mein Leben lang begleitet, sogar in alten Schulaufsätzen taucht er immer wieder auf… Nicht verwunderlich also, daß ich noch keine andere Oper so häufig gesehen habe wie "Tosca", und auch die Produktion des Abends kannte ich bereits; sie ist die älteste an der Staatsoper überhaupt und läuft seit 1958 (Inszenierung Margarethe WALLMANN, Ausstattung Nicola BENOIS). Eine Neuinszenierung ist derzeit nicht "in Sicht", wofür ich ehrlich gestanden von Herzen dankbar bin - lieber eine wenig originelle traditionelle Aufführung mit detailgenauer Rekonstruktion der Originalschauplätze als Werkverschandelungen im Stile des hiesigen "Parsifal" oder "Lohengrin"!

Was die Besetzung des Abends betraf, so hatten wir ausgesprochenes Glück: Für den erkrankten Marco Berti sprang Neil SHICOFF, der ja als neuer Staatsoperndirektor im Gespräch ist, als Cavaradossi ein. Dementsprechend groß war auch der Andrang auf Restkarten; die Vorstellung war komplett ausverkauft. Im großen und ganzen bot Shicoff eine solide Leistung, obwohl er am Anfang relativ unsicher wirkte und auffallend stark tremolierte. Den einzigen groben Schnitzer leistete er sich bei "Vittoria, vittoria", wo er die hohen Töne nicht ganz traf. Sein "E lucevan le stelle" war hingegen sehr schön und sanft.

Violeta URMANA, die die Vorstellung trotz einer leichten Erkältung bestritt, konnte in der Titelrolle sowohl gesanglich als auch darstellerisch mehr oder weniger überzeugen, obwohl auch sie für meinen Geschmack teilweise zu stark tremolierte. Besonders gut gefiel mir ihr "Vissi d'arte", das sie eher langsam und über weite Strecken leise sang, was dem ganzen ein Gefühl der stillen Introspektion verlieh, kein Auflehnen gegen Gott und das Schicksal, sondern vielmehr eine Klage, die umso berührender war.

Was Scarpia betrifft, bin ich natürlich aus den oben genannten Gründen besonders streng, aber zu meinem Glück war Lucio GALLO in dieser Rolle der klare Höhepunkt des Abends. Gesanglich hervorragend, meisterte er die Partie mit scheinbarer Leichtigkeit. Während der Überleitung zum "Te Deum" kam er gegen das im gewaltigen Fortissimo spielende Orchester an (im Unterschied zu etlichen anderen Sängern, die in den - je nach Dirigent - zum Teil unkontrolliert lauten Klangwogen oftmals untergehen) und war im ganzen "Te Deum" deutlich über den Chor herauszuhören. Aber auch darstellerisch vermochte er zu überzeugen, speziell mit dem deutlich sichtbaren inneren Widerstreit zwischen Beherrschung und Begierde im ersten Akt, der sich auch in der zweiten Hälfte des zweiten Aktes aus anfänglicher Ruhe und Gelassenheit wieder entwickelte. Und der innen rot gefütterte schwarze Umhang, den er im ersten Akt trug, fügte seiner Bühnenpräsenz noch eine zusätzliche stilvolle Note hinzu…

Während Alfred SRAMEK die komisch angelegte Rolle des Mesners gut sang und spielte (amüsant sein Anfall von Vergeßlichkeit bei der Frage nach dem Namen des Malers), war Eijiro KAI als Angelotti eher enttäuschend, wirkte zu fahrig und gehetzt, was vielleicht zur Situation der Figur passen mag, aber dem gesanglichen Aspekt doch schadete.

John DICKIE als Spoletta wirkte zu schmierig für meinen Geschmack (er gemahnte mich stark an die Figur des Peter "Wormtail" Pettigrew aus der "Harry Potter"-Reihe), war zu sehr Speichellecker. Speziell im dritten Akt wirkte er äußerst inkompetent, als er Tosca verhaften wollte, die Verfolgungsjagd auf die Zinnen der Engelsburg wurde praktisch zum Spaziergang. Wenigstens störte er diesmal gesanglich nicht weiter, seinen Steuermann im "Fliegenden Holländer" habe ich aus Intonationsgründen noch in sehr schmerzlicher Erinnerung. Dasselbe läßt sich über Clemens UNTERREINER (Sciarrone) und Johannes WIEDECKE (Schließer) sagen: Sie waren nicht phänomenal, störten aber auch nicht weiter.

Vom Dirigat von Placido DOMINGO hatte ich mir nicht besonders viel erwartet, wurde aber sehr positiv überrascht. Domingo hatte das ORCHESTER der Staatsoper fest im Griff - keine zeitversetzten Einsätze infolge von schlichtem Mangel an Aufmerksamkeit auf Seiten der Musiker, keine fehlenden ritardandi wegen Nichtbeachten des Dirigenten, kein permanentes forte, wie man das sonst leider immer wieder erleben muß. Auch die Koordination zwischen Orchestergraben und Bühne funktionierte ausgezeichnet.

Insgesamt war es eine sehr gute und qualitativ hochwertige Aufführung, was ja leider an der Staatsoper keine Selbstverständlichkeit ist.
Robin A. Röthlisberger