EREIGNISVOLLE "MEISTERSINGER"

Am 4. Abend der "Meistersinger"-Serie unter Christian THIELEMANN wurden die Berichte und Gerüchte um die vorherigen Vorstellungen wahr. Es begann damit, daß ein roter Zettel angeschlagen war, und die Besucher das Ärgste befürchteten: aber nur ein Meister, Peter Jelosits, als Schneider Augustin Moser angesetzt, war durch Karl-Michael EBNER ersetzt worden. Damit kann man leben! Dann ließ sich Johan BOTHA noch vor dem 1. Akt wegen "anhaltender Erkältung" entschuldigen. Doch vor dem 3. Akt kam wieder eine Ansage vor dem Vorhang: Falk STRUCKMANN, der zwar im Flieder-Monolog noch in der Tiefe gut gesungen hatte, aber in der Höhe Schwierigkeiten gezeigt hatte, ließ melden, daß er nicht weiter singen könne. Wolfgang KOCH, der zwei Wochen vorher sein Debüt in der Staatsoper am Ring gemacht hatte und als Kothner fungierte, sprang für ihn ein und sang die Partie mehr als ordentlich zu Ende. Und nun, was macht man mit dem Kothner? Der Nachtwächter, Wolfgang BANKL, singt ja nicht mehr und konnte die Rolle. Die Festwiese war gerettet, und die Meister konnten komplett auftreten.

Das Hauptinteresse des Publikums dieser Serie konzentrierte sich natürlich auf Christian THIELEMANN am Pult. In einer denkwürdigen "Tristan"-Serie 2003 in Wien hatte er gezeigt, daß er einer der großen Wagner-Dirigenten unserer Zeit ist. Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Bereits mit dem C-Dur-Akkord des Vorspiels war die Spannung da, und man hatte das Gefühl, daß diese Spannung und Steigerung nie nachließen. Zahlreiche Details, die meistens kaum mehr bemerkt werden, wurden neu belebt. Die Führung der Sänger war perfekt und die Präzision des Dirigats sehr eindrucksvoll. Ein gespannter Bogen, der ständig in der Lage ist, den Pfeil abzuschießen!

Das ORCHESTER DER WIENER STAATSOPER folgte dem Dirigenten mit subtilen piani und kraftvollen fortissimi. Schade, daß einige Posaunen und Hörner nicht alle Proben gemacht hatten; das war einige Male hörbar und ist seit Gustav Mahler so. Thomas LANG hatte den CHOR DER WIENER STAATSOPER bestens einstudiert; besonders die Lehrbuben waren sehr fröhlich am Werk und gaben David einiges aufzulösen.

Die "Ereignisse" des Abends beeinflußten natürlich die Vorstellung. Die anderen Sänger lieferten die schönsten Leistungen. Ricarda MERBERTH sang eine wundervolle Eva, sehr mädchenhaft und stimmlich perfekt. Der Beginn des Quintetts war traumhaft. Weshalb ihr auf der Festwiese ein gelber Biedermeier-Hut aufgesetzt wurde, ist unklar. Adrian ERÖD als Beckmesser sang die Rolle wirklich und säuselte sie nicht; er spielte sie auch psychologisch sehr interessant, fast tragisch. Ohne Übertreibung oder Geblödel, wie es viele Merker oft tun, eher ein komischer Kauz, der nicht in die Gesellschaft paßt, eine Figur aus einem Spitzweg-Bild. Außerdem verstand man jedes Wort. Eröd war die Überraschung und Sensation des Abends.

Für Michael SCHADE ist David eine Rolle an der Grenze seiner Möglichkeiten. Der intelligente, kultivierte und sympathische Mozart-Sänger hatte öfters Mühe gegen das Wagner-Orchester anzukommen. Daß sein Kostüm auf der Festwiese nicht für ihn geschneidert war, schien die Abendregie dieser Wiederaufnahme nicht gestört zu haben. Auch für Ain ANGER ist der Pogner eine Grenzpartie. Der höchst talentierte junge Sänger besitzt einen wunderschönen basso cantante, aber die Schwärze der Tiefe fehlt noch ("Will einer Selt'nes wagen..."). Es ist sehr erfreulich, die Rolle gesungen und nicht gegrunzt zu hören. Die Vaterschaft von Ricarda Merbeth ist allerdings nicht glaubhaft - das gehört zu den zahlreichen Absurditäten der Regie. Wenigstens eine graue Perücke hätte sich finden lassen können.

Michaela SELINGER als Magdalena war sich selbst überlassen und blieb daher farblos. Die weiteren Meister wurden von Alexander KAIMBACHER, Marcus PELZ, Cosmin IFRIN, Michael ROIDER, Karl-Michael Ebner, Clemens UNTERREINER, Alfred ŠRAMEK und Janusz MONARCHA passend gesungen.

Nun zu den "Kranken". Johan BOTHA war - obwohl verkühlt - ein stimmkräftiger Walther Stolzing. Ohne Verkühlung hätte er vermutlich seine Meisterlieder noch flammender und heldischer gesungen. Er fand die Ausdruckskraft in den lyrischen Stellen und hielt sich großartig in den feurigen Erklärungen des Preisliedes. Daß Falk STRUCKMANN keinen guten Tag hatte, war schon im 1. Akt offenbar, was die Gerüchte über seine Mißform bestätigte. Die Verteidigung Stolzings gelang ihm noch passend. Er hielt sich auch recht gut im Flieder-Monolog, obzwar die Höhe angestrengt wirkte, bis eben zur Absage.

Sein Vertreter, Wolfgang KOCH, hatte im 1. Akt perfekt die Tabulatur proklamiert und hatte als Kothner seinen Mann gestanden. Daß er dann "aufsteigen" konnte, zeigte er im Wahnmonolog des 3. Akts und besonders klug in der Szene mit Beckmesser. Auch "Verachtet mir die Meister nicht" auf der Festwiese war ausgezeichnet. Die Stimme trägt aber noch nicht genug für ein großes Haus. Es ist zu hoffen, daß der noch junge Bariton Sachs nicht regelmäßig singen wird und nicht zu früh und zu oft in schwere Partien eingesetzt wird. Die Leistung war auf jeden Fall ungewöhnlich, und das Publikum bedankte sich stürmisch.

Die über drei Jahrzehnte alte Inszenierung von Otto SCHENK in den klassischen, durchaus passenden Bühnenbildern von Jürgen ROSE wurde mit dieser Serie von Thielemann musikalisch neu einstudiert. Das war sehr gut und notwendig. Es wäre allerdings gut gewesen, auch die Personenregie, vor allem in den Massenszenen, einer General-Überholung zu unterwerfen und nicht nur der Abendspielleitung zu überlassen. Das war sichtlich nicht der Fall. Neben den erwähnten Schnitzern irrte auf der Festwiese eine junge Dame herum, mit einem Pölsterchen mit dem goldenen Schlüssel der Stadt Nürnberg. Sie wußte offenbar nicht, wo sie hin sollte und tauchte dann irgendwo in der Menge unter. Daß die dicksten Chordamen in der 1. Reihe stehen, ist optisch auch nicht optimal. wig.