"SIMON BOCCANEGRA" - 1. Oktober 2008

Wie viele Opern Verdis leidet "Simon Boccanegra" an der Geheimnistuerei des Librettos von Francesco Maria Piave. Auch die Überarbeitung durch Arrigo Boito hat nicht geholfen, das vertrackte Geschehen halbwegs glaubhaft zu machen. Weshalb Boccanegra seine Tochter weiter als Amelia Grimaldi versteckt hält, versteht heute kein Mensch. Ähnlich wie in "Forza del Destino", "Rigoletto" oder "Trovatore" sind Personen unter anderem Namen oder Identität versteckt. Im 19. Jahrhundert war das aber sehr beliebt. Nichts destotrotz ist Verdis musikalische Behandlung meisterhaft, und ich falle bei jeder Aufführung in den Bann dieser prachtvollen Musik.

Die Wiener Inszenierung ist nicht ganz neu, und Peter STEINs Sicht der Handlung ist eher konventionell, obwohl sie politischer Sprengstoff ist und Verdis republikanische Überzeugung widerspiegelt. Ein Plebejer, der Doge Genuas wird! Fast so arg wie wenn ein Schwarzer amerikanischer Präsident würde! Also, es könnte sehr viel aktueller sein. Zumal es ja an wichtigen Figuren nicht mangelt, der hartherzige Fiesco, der schließlich doch klein bei gibt, der verräterische Paolo, der aus Begierde zu Amelia seinen Meister umbringt und last, but not least das Liebespaar, Amelia und der Hitzkopf Gabriele Adorno, der reumütig die Seinen fallen läßt, um sich für Boccanegra einzusetzen. Nicht umsonst hat Boito dem Werk den Titel "Melodramma" gegeben! Die Bühnenbilder von Stefan MAYER waren der Inszenierung entsprechend, und die Kostüme von Moidele BICKEL folgten amerikanischem Vorbild: rote Mäntel für die Patrizier und blaue für die Plebejer in der Ratsszene.

Als Doge Simon Boccanegra war Leo NUCCI stimmlich nicht nur hervorragend, er war einfach umwerfend. Daß er auch ein eindrucksvoller Schauspieler ist, ist bekannt. Wenn er Paolo in der Ratsszene verhört und ihm "Sia maledetto! e tu ripeti il giuro." zuruft, läuft es einem kalt über den Rücken. Sein Schlußgesang "Il Mare!" war von subtiler Noblesse, großartig! Dem Paolo Albiani gab Eijiro KAI das richtige Profil des proletarischen, aber gleichzeitig abergläubigen Schurken, wenn er die Verfluchung wiederholt. Allerdings ist seine Stimme etwas rauh.

Als Patrizier Jacopo Fiesco, dem Gegenspieler Boccanegras, war Giacomo PRESTIA seinem Kollegen ebenbürtig, ein würdiger Vertreter seiner Kaste, stimmgewaltig und stolz, der sich vor dem Angebot zum Komplott des Plebejers Paolo nicht locken läßt, ein Fürst! Seine Enkelin Maria, die falsche Amelia Grimaldi, sang Roxana BRIBAN mit schöner Stimme, etwas zu dramatisch für diese Rolle, und spielte ausgezeichnet. Ihr Geliebter, Gabriele Adorno war Mario MALAGNINI, der den Anführer der Verschwörer blendend darstellte und seine Reue in der Erkennungsszene mit einem fulminanten "Un assassin son io..." Boccanegra zu Füßen legt. Ein eindrucksvoller Tenor, dessen Namen man sich merken sollte, denn er spielt auch gut und nicht hölzern, wie diese Rolle oft gespielt wird.

In den kleinen Rollen war Dan Paul DIMITRESCU als Plebejer Pietro überbesetzt. Dasselbe gilt für Donna ELLEN als Amelias Magd. Als Herold debütierte Florin ORMENISAN rollendeckend an der Wiener Staatsoper.

Nicht zu vergessen ist die musikalische Leitung von Yves ABEL, der mit dieser Aufführungsserie in Wien debütierte. Der junge französische Dirigent ist uns bereits im Vorjahr in Toulouse in Lalos "Le Roi d'Ys" sehr positiv aufgefallen. Er leitete CHOR UND ORCHESTER DER WIENER STAATSOPER mit großem Einsatz und wußte die Finessen der reichen Partitur richtig heraus zu arbeiten. Einmal ein Dirigent, der die rubati an die richte Stellen setzt!

Ein sehr, sehr schöner Abend, vom Publikum dankend aufgenommen. wig.