"CAPRICCIO" - 5. Oktober 2008

Wenn immer man eine der letzten Opern von Richard Strauss erlebt, fragt man sich, wie der Komponist, abgesetzter Reichsmusikdirektor, seine offen pazifistischen Opern auf die Bühne gebracht hat. Denn mitten im Krieg, kurz bevor Goebbels mit dem "totalen Krieg" sämtliche Theater sperrte, ist die Aufführung eines "Konversationsstück für Musik" auf einen Text, den er mit Clemens Krauss verfaßt hatte, das in einem Schloß bei Paris spielt schon ein "starkes Stückl". Und der Vorwand für diese Oper ist ein Sonett von Pascal und dreht sich um die ungemein strategischen Frage "Wort oder Musik". 1934, ein paar Jahre vorher, hatte in Dresden "Die schweigsame Frau", geschrieben auf ein Libretto des (jüdischen) Dichters Stefan Zweig uraufgeführt, was ihm seine Absetzung als Reichsmusikdirektor einbrachte. Die Gestapo hatte noch dazu nicht sehr linientreue Briefe an Zweig abgefangen. Kurz vor Kriegsbeginn, hatte dann Strauss eine griechische Schäfer-Tragödie "Daphne" und gleichzeitig ein offen pazifistisches Stück "Ein Friedenstag" geschrieben. Schon sehr eigentümlich für einen "Nazi-Komponisten".

Die neue Wiener Produktion von "Capriccio" wurde dem Ehepaar Marco Arturo MARELLI (Inszenierung, Bühnenbild, Licht) und Dagmar NIEFIND (Kostüme) anvertraut. Die wunderschönen, bewußt etwas kitschigen Rokoko Glas-Bühnenbilder geben der ganzen Aufführung einen Eindruck der Zerbrechlichkeit, des Endes einer Epoche. Die kluge Verwendung der Drehbühne unterstreicht dieses Gefühl des Irrealen, des Wandelbaren. Das alles ist sehr subtil gemacht, mit Ausnahme der beiden Schreibtische mit k. & k. Bürokraten-Lampe an der Rampe für Flamand und Olivier, ein Einbruch der "Realität". Ein Augenschmaus!

Die Besetzung wurde natürlich von der Gräfin von Renée FLEMING dominiert. Es ist kein Zweifel, daß Fleming heute in dieser Rolle der verliebten Madeleine heute keine wirkliche Konkurrenz hat. Sie haucht ihren Schlußmonolog bisweilen ein wenig zu verhaucht, doch ist das fast Haarspalterei. Ihr Bruder, der etwas geile Graf, ist bei Bo SKOVHUS in allerbesten Händen. Umwerfend wenn er seine "Schauspielkünste" als griechischer Gott verkleidet darstellt.

Die beiden Liebhaber waren stimmlich hervorragend. Adrian ERÖD, der Dichter Olivier, der mit seinem Sonett die ganze Intrige anzettelt, wirkte für diese träumerische Rolle fast etwas zu bäuerlich. Als der zweite Verehrer, der Musiker Flamand, war Michael SCHADE glaubwürdiger. eine Werther Figur. Den Theaterdirektor La Roche sang Wolfgang BANKL, eine Rolle, in die er noch hinein wachsen muß, denn es gibt zu viele illustre Vorbilder, als daß man da leicht bestehen könnte. Sein kleines barockes Theater, das er immer herumschleppt, half ihm sehr über die Runden.

Angelika KIRCHSCHLAGER als Clairon, die Schauspielerin, die der Graf unbedingt verführen will, war ganz große Klasse, nicht nur stimmlich, sondern auch in ihrem Gehabe, die große Hetäre des "Ancien Régime" - perfekt! Ein Kabinettstückl gab Peter JELOSITS als Souffleur Monsieur Taupe, ein vergessenes Wesen in einer vergessenen Welt, dem Clemens UNTERREINER als Haushofmeister einen Wagen findet, um nach Paris zu kommen. Letzterer sang auch sein enigmatisches "Frau Gräfin, das Souper ist serviert!" vor dem Schlußmonolog Madeleines.

Jane ARCHIBALD als italienische Sängerin war herrlich und kam in einem Boot auf Stelzen auf die Bühne, doch ihrer vorgeschriebenen Verfressenheit konnte sie nicht frönen, das war ein Regiefehler. Als italienischer Tenor war Ho-Yoon CHUNG ihr ein stimmfester Partner und starb herzzerreißend. Die acht Diener waren Franz GRUBER, Michael WILDER, Martin MÜLLER, Hermann THYRINGER, Wataru SANO, Oleg ZALYTSKIY, Burghard HÖFT und Jens MUSGER und taten ihre Sache bestens und ausgelassen. Die junge Tänzerin war Josefine TYLER und Vladimir SNIZEK ein passender Tanzmeister in einer hübschen Choreographie von Lukas GAUDERNAK.

Die Enttäuschung kam vom Dirigenten Philippe JORDAN, der das ORCHESTER DER WIENER STAATSOPER eher breiig dirigierte. Kein Ab- und Aussetzen, die Rubati fehlten, einzig die Sextett-Ouvertüre war gelungen. Schade!

Das volle Haus feierte natürlich diese Starbesetzung begeistert. wig.