"EUGEN ONEGIN" - 4. Juni 2009

Bei vielen Opern des ausgehenden 19. Jahrhunderts ("Werther", "Manon", "Pique Dame", "Louise", "Eugen Onegin") besteht die Gefahr, daß die Aufführung in weinerliche Sentimentalität oder unerträglichen Kitsch abgleitet. Diese Werke behandeln durchwegs gesellschaftliche Probleme ihrer Zeit und sind heute schwer zu inszenieren. Tschaikowskys Musik - wie die Massenets - gehört zum romantisch-emotionalsten der Opern-Literatur überhaupt. Sentimentalität war sicher nicht der Fall in dieser Aufführung - eher das Gegenteil.

Daß die Vorstellung nicht in Trübsinn endete, ist vor allem Seiji OZAWA zu danken. Er verwandelte das Emotionelle der Musik in dramatische Steigerung und wußte die Intensität der Gefühle so heraus zu arbeiten, daß niemals Kitsch-Gefahr aufkam. Nach "Pique Dame" im vergangenen Herbst, hat Ozawa anscheinend einen Tschaikowsky-Zyklus in Wien begonnen - die Opern Tschaikowskys sind ja in den letzten Jahren ziemlich vernachlässigt worden und überstehen nicht immer die erwähnten Gefahren. Es ist zu hoffen, daß auch weniger bekannte Werke zum Zug kommen, z.B. "Mazeppa" oder "Iolanta". Der zukünftige Erfolg eines solchen Zyklus hängt aber sehr von der Wahl besserer Regieteams ab. Denn bereits die Produktion von "Pique Dame" war szenisch ziemlich trostlos.

"Verdrängung" der Emotionen ist ja im "Regietheater" ziemlich beliebt und hier wurde diese Verdrängung auf die Spitze getrieben, denn das Geschehen auf der Bühne war von polarer Kälte. Dafür sind in erster Linie der Regisseur Falk RICHTER und sein Bühnenteam verantwortlich, das erst am Schluß Gefühle aufkommen ließ. Das Bühnenbild von Katrin HOFFMANN war von trostloser Eintönigkeit und Kälte. Eine schwarze flache, nach vorne absteigende Stiege beherrschte alle Szenen vor einem schwarzen Hintergrund. Möbel aus nach Lego-Methode aufgetürmten Eis-Quadern (so erschienen diese jedenfalls) bildeten das Mobiliar von Tatianas Zimmer. Beim spärlich beleuchteten Fest Larinas stand in der Mitte ein langer Tisch oder Tiefkühltruhe, denn es waren anscheinend auch Speisen drin, was an einen Supermarkt erinnerte. Diese Truhe thronte auch in der Duellszene, diesmal schräg über die Bühne, mit Alu-Folie bedeckt, auf der die Duellisten ihre Pistolen auspackten.

Dazu kamen meist schwarze, gegebenenfalls graue, Kostüme von Martin KRAEMER, die ebenfalls nicht zur Belebung des Geschehens beitrugen. Larinas Kulaken waren in schwarze Joppen gekleidet und hielten aus unklaren Gründen dunkelblaue Werkzeugkanister in den Händen. Nur Olga durfte als einzige rote oder rostbraune Kleider tragen. Im 1. Akt trug Tatiana ein blaues Ballkleid, während sie am Schluß in einen goldenen, pelzbesetzten Mantel auftrat. Carsten SANDER beleuchtete all dies entsprechend trostlos. Da die Oper in Rußland spielt, schneit es auch ständig. In dieser nicht gerade stimulierenden Atmosphäre hatte es Regisseur Falk Richter natürlich schwer, die Hauptpersonen passend interagieren zu lassen. Schon im Konversations-Quartett im 1. Akt wurde auf Distanz gespielt. In der Briefszene schrieb Tatiana abwechselnd auf dem Boden oder auf einem der Eisblöcke - dabei gab es einen kleinen Eis-Schreibtisch in der Ecke.

Glücklicherweise war die musikalische Seite hervorragend. Seiji Ozawa unterstützte hervorragend die Sänger und den CHOR (Leitung Thomas LANG), die herrlich sangen. Die trübsinnige Inszenierung bremste jedoch den Enthusiasmus der Sänger erheblich, so daß die Glaubhaftigkeit ihrer Darstellung an vielen Stellen litt. Das trifft vor allem für den absolut perfekt singenden Titelhelden Simon KEENLYSIDE zu, der erst nach dem Duell zu begreifen scheint, was los ist, wenn er den toten Lenski in seine Arme schließt - mit Abstand die ergreifendste Szene. Sein erster Auftritt war von unterkühlter Distanz und nicht sonderlich beeindruckend, ein unnahbarer Snob, der seinen Spleen kultiviert, der Tatiana abkanzelt, als wäre sie eine Schülerin. Weniger distanziert war Tamar IVERI als Tatjana, die schon in der Briefszene das etwas überspannte junge Mädchen passend zeichnete. Am besten zog sich Zoryana KUSHPLER als Olga aus der Affäre; sie sang wunderbar, ließ ihren schönen warmen Mezzo strömen und spielte die leichtlebige Schwester mit Temperament in farbigen Kleidern.

Ramón VARGAS als Lenski ist ein spezieller Fall. Zu Beginn hatte er hörbare Intonations-Probleme, sang mehrmals zu tief und beeindruckte in der Liebeserklärung an Olga nicht sonderlich. Er sang sich schließlich frei, doch das Problem liegt woanders: dieser ausgezeichnete Künstler singt hörbar zu viel. Vor zwei Jahren sang er noch Idomeneo und heuer, zwischen zwei längeren Serien von "Ballo in maschera" in London und Paris, sang er mehrere Male alternierend De Grieux, Werther und Lenski in Wien, um schließlich drei Tage nach dem letzten Lenski zwei Mal das Verdi-Requiem in Paris zu singen. Der Tenor hat bereits ins spinto-Fach gewechselt, doch sein typisch italienischer Gesang wird dem etwas weltfremden, verträumten russischen Poeten kaum gerecht. Das Singen quer durch das Tenor-Repertoire sollte der Sänger etwas sparsamer betreiben, bevor es zu spät ist.

Beim Fest bei Fürst Gremin im letzten Bild läuft Onegin zuerst mit offenem Hemd auf die Bühne, dann schreitet der Chor paarweise im Schneckentempo die flache schwarze Stiege herunter und schließlich auch Fürst Gremin und Tatjana. Begräbnis-Atmosphäre zu Tschaikowskys Polonaise. Ain ANGER als Fürst Gremin ist der personifizierte russische Hocharistokrat und rettete die Situation. Die große Arie im letzten Akt, die bisweilen sehr langweilig wirkt, war von besonderer Ausdruckskraft und wurde vom Publikum mit ganz großem, verdientem Applaus bedacht. In der Schlußszene kam endlich so etwas wie Emotion auf. Simon Keenlyside konnte hier seine schauspielerische Ausdrucksfähigkeit zeigen und Tamar Iveri die Größe von Tatjanas Verzichts in einem emotionellen Ausbruch gesanglich und schauspielerisch hinreißend vermitteln.

Die Nebenrollen waren meist gut. Aura TWAROWSKA als mütterliche Larina setzte ihren angenehmen Alt schön ein. Margareta HINTERMEIER als Filipjewna war sehr besorgt um Tatjana und sang wunderschön. Nicht sehr überzeugend war der Monsieur Triquet von Alexander KAIMBACHER, der sein Französisch etwas kultivieren könnte. Er litt allerdings an der idiotischen Verkleidung als Moderator einer Fernseh-Quiz-Sendung in Flitter-besetztem Smoking, der auf der Tiefkühltruhe sein Liedchen sang. Marcus PELZ (Saretzki), Hans Peter KAMMERER (Hauptmann) und Oleg ZALYTSKIY (Vorsänger) waren rollendeckend. Bei Larinas Fest gab es auch eine Choreographie von Joanna DUDLEY, die in ein Bacchanale ausartete. Dafür gab es kein Ballett zur Polonaise bei Gremin.

In Abwesenheit des Bühnenteams wurden Sänger und Dirigent, sowie Chor und Orchester lautstark gefeiert. wig.