"LA FORZA DEL DESTINO" - 19. Juni 2010

Daß der Text von Francesco Maria Piave und Antonio Ghislanzoni für Verdis vermutlich ohrwurmreichste Oper einer der absurdesten und unwahrscheinlichsten der gesamten Opernliteratur ist, ist sattsam bekannt. Daß Verdi später keinen Arrigo Boito zu Hand hatte, um das Werk zu retten, ist auch eine Tatsache. Zwischen dem Schuß der weggeworfenen Pistole im 1. Akt, über mehrere unwahrscheinliche Zwischenfälle, bis zur Entdeckung von Leonora di Vargas am Ende des letzten Akts, die sowohl Alvaro als auch ihr Bruder Carlos seit Jahren gesucht und nicht gefunden hatten, ist die Wahrscheinlichkeit, daß so etwas je passiert, weniger als ein Mal in der Geschichte des Weltalls. Daß die beiden Herren auch mehrmals ihre Decknamen wechseln, ist der Klarheit der "Handlung" auch nicht zuträglich. Diese Oper ist im 21. Jahrhundert einfach nicht inszenierbar. "La forza del Destino" heute noch auf die Bühne zu bringen, ist deshalb ein Wagnis.

Vermutlich gibt es nur zwei Möglichkeiten das Werk zu retten: entweder eine konzertante Wiedergabe, denn Verdi hat trotz der vermurksten Handlung eine Unmenge prachtvollster Musik geschrieben, u. a. mehrere herrliche Arien, packende Chöre, drei Tenor-Bariton-Duette, die nur mehr in "Don Carlos" oder "Otello" ihresgleichen finden, besonders das berühmte "Solemn' in quest'ora" des 3. Akts. Die zweite Lösung wäre ein kompletter "Neubau" oder ein Pasticcio der Oper. Von Händel bis Rossini hat es solche Wiederverwendungen musikalischen Materials gegeben. Ein hervorragender Verdi-Spezialist und -Kenner könnte das erfolgreich unternehmen. Viele barocke und klassische Opern, von denen nur Fragmente bekannt sind, und wo bisweilen ganze Akte fehlen, werden heute ohne weiteres aufgeführt. Ebenso werden andere melodramatische Opern von guter musikalischer Qualität heute immer öfter konzertant aufgeführt, z. B. kürzlich Webers "Euryanthe" in Toulouse (ebenfalls nicht inszenierbar), während "Oberon" nächstes Jahr szenisch gebracht wird.

Dies vorausgeschickt, ist es nicht verwunderlich, daß selbst ein Regisseur mit viel Erfahrung wie David POUTNEY mit der Oper nicht viel anzufangen wußte. Obwohl es in der berühmten Ouvertüre ganz gut anfing, mit einem - ausnahmsweise - gelungenen Video von FETTFILM: ein drehendes Rad, das von einem in allen Richtungen drehenden Revolver abgelöst wird, der dann eine Kugel abschickt, die natürlich prompt in die Brust eines Mannes einschlägt und die Videowand in Blut tränkt. Es wird allerdings weniger interessant, wenn der Vorhang aufgeht, und eine etwa 2 m schmale, schräge, weiße Ebene die Bühne beherrscht, die von einer eben so schmalen, ca. 8 m hohen weißen Wand hinten abgeschlossen wird - übrigens das Zentralelement während des ganzen Abends. Zu allem Überfluß wird dieses einzige Bühnenelement ständig mehr oder wenig schnell gedreht, was bei der eher belebten Handlung noch weitere Konfusion bringt. Die ganze Ausstattung stammt von Richard HUDSON, dem hier nicht sonderlich viel eingefallen ist, ebenso wenig bei den mehr oder weniger "heutigen" (sprich: banalen) Kostümen und den Uniformen aus dem 19. Jahrhundert. Die Klosterbrüder waren auf arabisch gekleidet, auch Fra Melitone.

Zuerst steht ein Bett auf der Schräge, auf dem Leonore jammert und von ihrem Vater getröstet wird. Sie empfängt auch Alvaro auf diesem Bett, und wenn die beiden durchgehen wollen, kommt der Vater dazwischen und der berüchtigte Pistolenschuß geht los und "La Forza del Destino" beschleunigt sich. Weniger ernst geht es im nächsten Akt zu, wo Preziosilla auftritt. Da wird es einfach grotesk, denn die Wahrsagerin ist als Texanisches Cowgirl verkleidet, ebenso wie die kurzgeschürzten Tänzerinnen des läppischen BALLETTs (Choreographie: Beate VOLLACK). Die "Pilger", denen Preziosilla alles Gute voraussagt, sind feuerrot gekleidet mit roten Gebetbüchern mit weißen Kreuzen drauf und sehen wie Kardinäle aus. Daß Trabucco mit einem Rollwäglein mit allen möglichen Fläschchen auftritt, trägt zur allgemeinen Verwirrung bei.

Nur im 3. Akt gibt es szenisch etwas Neues, denn die Schräge mit Wand wird von einem chaotischen Gewebe von Masten, Traversen, Leitern und Trägern eingeschlossen, was eine Festung darstellen soll. Natürlich dreht sich der ganze Zauber wieder. Beleuchtet wird das ganze Spektakel von Fabrice KEBOUR. Wie gesagt: hoffnungslos!

Zum Glück war die Aufführung musikalisch ausgezeichnet. Allein die Tatsache, daß der Dirigent des Abend Marco ARMILIATO war, bürgte für eine erstklassige Leitung. Marco Armiliato enttäuscht nie in seiner Präzision und dem Schwung, den er in jede Aufführung bringt. Er versteht sich sichtlich bestens mit den ORCHESTERN, die er immer sehr freundlich begrüßt, und selbst dem der Wiener Staatsoper. Er ist dabei, der zu werden, der vor fünfzig Jahren Tullio Serafin war, die absolute Referenz für das italienische Repertoire. Der CHOR DER WIENER STAATSOPER unter der Leitung von Thomas LANG sang bestens und mit hörbarer Begeisterung. Er bekam auch viel Beifall am Schluß.

Die Sänger waren durchwegs gut bis hervorragend und mehrere machten ihr Wiener Rollendebüt. Allen voran Micaela CAROSI, die ich schon mehrmals in anderen Rollen anderswo gesehen habe, als Leonore di Vargas, um die es ja in erster Linie geht. Mit perfekter Phrasierung und strahlenden Höhen, sowie sehr engagiertem Spiel ist die junge Italienerin, die den "Premio Abbiati" erhalten hat, eine hervorragende Vertreterin für Verdis dramatische Sopranrollen. Die sehr attraktive Sängerin singt nicht nur ganz ausgezeichnet, sie ist auch eine großartige Schauspielerin, die sich sehr intensiv in die Rolle hineinlebt. Als ihr Vater, der Marquese di Calatrava, der ja gleich am Anfang hinscheidet, debütierte Stefan KOCÁN gleichfalls in Wien und gab der Rolle die passende Statur, obwohl er sichtlich viel zu jung für die Figur ist. Deshalb hat man Stefan Kocán auch gleich für die wirkliche Baß-Rolle engagiert, den Padre Guardiano, den er passend stur und unerbittlich an einem Schreibtisch sitzend, darstellte.

Die Ausnahme war der Alvaro von Fabio ARMILIATO, der hörbar indisponiert war und selbst am Ende noch Schwierigkeiten hatte, obwohl man bemerken konnte, daß er einen angenehmen Tenor besitzt. Er hätte das ansagen lassen sollen. Don Carlos di Vargas war Alberto GAZALE und sang prächtigst. Einer der jungen Generation der hervorragenden Verdi-Baritone, der bald sehr gesucht sein wird. Das genannte Duett gelang ausgezeichnet.

Die "leichte Figur" dieser absurden Räubergeschichte ist ja ein besonderer Fall: die junge Wahrsagerin Preziosilla paßt ja in die ganze Geschichte wie das Haar in der Suppe, und für jede Sängerin ist die - gesanglich ausgesprochen schwierige - Rolle eine Herausforderung. Zumal Preziosilla hier anscheinend von einer Ranch aus Texas oder Mexiko kommt und entsprechend ausstaffiert ist, umgeben von ähnlich gekleideten Tänzern und Tänzerinnen (Ballet der Wiener Staatsoper und Volksoper). Nadia KRASTEVA macht das Beste daraus, was ihr dank ihres prächtigen und ausgezeichnet geführten Mezzo-Sopran auch sehr gut gelang.

Unter den Comprimarii stach vor allem der Fra Melitone von Sorin COLIBAN hervor. Nicht nur daß er einen schön klingenden Baß-Bariton besitzt, den er sehr gut anzuwenden weiß, ist er außerdem eine eindrucksvolle Persönlichkeit, der mit seinen fast 2 m auch ausgezeichnet den etwas einfachen, aufmüpfigen Klosterbruder spielte, der sichtlich seine "Berufung" verfehlt hat; die vom Regisseur am besten ausgearbeitete Rolle. Weshalb der Maultiertreiber Maestro Trabucco mit einem Wägelchen mit Flaschen aufritt, ist dafür weniger klar; Wolfram Igor DERNTI machte das beste aus seinem Auftritt. Bedauerlich ist, daß die gewiegte Donna ELLEN in Wien mit so lächerlich kleinen Rollen wie die Curra, Leonores Vertraute, bedacht wird. Als Alcalde fungierte Dan Paul DIMITRESCU, sowie Zoltán NAGY als Chirurg, der den armen Alvaro retten soll.

Eine gute Repertoire Aufführung in einer läppischen Inszenierung. wig.