"LA JUIVE" - 21. Juni 2010

In Halévys "La Juive" geht es um ein brisantes Thema, und es ist eine typische pseudo-historische, in der Renaissance spielende, höchst politische Oper von Eugène Scribe. Bei der Inszenierung dieses schwierigen und hochdramatischen Werks muß man dies in Betracht ziehen. Denn "La Juive" besitzt eine Unzahl musikalischer Facetten und Reichtümer. Daß Jacques Fromental Halévy ein großer Meister ist, darüber besteht kein Zweifel, aber das historische Melodrama des 19. Jahrhunderts hat sehr unter der heutigen Mißachtung dieser Epoche zu leiden.

Die Inszenierung und Ausstattung der Wiener Produktion ist leider total verpatzt. Die Grund-Idee, die Welt in Weiß und Schwarz zu teilen, ist im Prinzip nicht absurd, obwohl ein wenig naiv. Zur Zeit des Konzils von Konstanz (1414-1418) war dies sicher die Art wie König Sigismund und Papst Johannes XXIII. das Problem sahen: Gläubige und Ketzer, d. h. die letzteren sind alle, die nicht an die römische Kirche glauben. Das besondere daran ist, daß der Papst allerdings nur einer von dreien war, denn in der Kirche selbst war ziemliches Chaos: Gregor XII. saß in Rom, Benedikt XIII. in Avignon und Johannes XXIII. in Bologna. Ursprünglich Baldassare Cossa, war er Offizier gewesen, verdingte sich dann als Berater des Vatikan und wurde erst viel später - eine Woche nach seiner Wahl zum Papst 1410 - zum Priester geweiht, aber recht bald abgesetzt und in Heidelberg eingesperrt! Daß er für die Kirche kein wirklicher Papst war, beweist die Tatsache, dass Angelo G. Roncalli, Patriarch von Venedig, 1958 Johannes XXIII. als Papstnamen ohne weiteres annehmen konnte. Diese zwiespältige Renaissance-Figur des ersten Johannes XXIII. hat wohl die Person des Kardinal Brogni inspiriert.

Auf jeden Fall war die Lage nie ganz schwarz/weiß, denn die römische Kirche war immer eine sehr farbige Institution, die ihren Prunk farbenprächtig zur Schau stellte, z. B. in den, dem Kirchen-Kalender entsprechenden, farbigen Meßgewändern. Auch die Rangordnung ist in der Kirche farblich gekennzeichnet: Laienbrüder sind braun, Priester schwarz, Bischöfe violett, Kardinäle rot und einzig der Papst ist weiß gekleidet. Wollten Regisseur Günter KRÄMER und die beiden Ausstatter Gottfried PILZ und Isabel Ines GLATHAR auf die konfusen vatikanischen Zustände damit anspielen? Jedenfalls kennt man sich nicht aus. Man fragt sich jedenfalls, wieso solche Leute engagiert werden, denn die Liste unsinniger Inszenierungen von Günter Krämer, die ich gesehen habe, ist lang, "Tristan" und diese "Juive" in Wien, "Ariadne auf Naxos" in Lyon und der "Ring" in Paris.

Die Szenographie beschränkte sich hier auf eine breite, quer über die Bühne reichende Schräge und ist durch ein paar Versatzstücke bereichert. Den Sieg über die Hussiten und die darum spielenden Feierlichkeiten auf dem oberen weißen Teil kann man nur als ärmlich bezeichnen. Daß noch eine stumme Figur auftritt, vermutlich König Sigismund (er wurde Kaiser erst vier Jahre vor seinem seinem Tod) ganz in weiß als General verkleidet, u. a. beim kleinbürgerlichen Festessen, ist nur eine unnütze Belastung. Die Juden sind zu ihren Pesach-Seder rechts unten auf der pechschwarzen Ecke der Bühne versammelt. Und es ist wirklich stockdunkel da unten!

Besonders verfehlt sind die Massenszenen. Die 1. Szene der Oper spielt auf dem vordersten, ca. 1,5 m breiten Streifen der Bühne. Wenn das Volk den arbeitenden Eléazar und Rachel lynchen will, drängen sich die Sänger auf diesem engen Streifen, wo nach dem Te Deum der große Chor aus dem Dom (eine die Bühne abriegelnde halbdurchsichtige Wand) heraus quillt. Die Naht-an-Naht liegenden Türen des Doms erinnern an Kabinen einer Badeanstalt. In der Autodafé-Schlußszene ist der Chor im Gegensatz dazu in Dirndlkleid, bzw. Lederhosen und Gamsbart am Hut, auf Stühlen in der jüdischen Hälfte der vorderen Bühne angeschraubt. Nur Kardinal Brogni steht auf, um Eléazar zu fragen "Réponds: ma fille existe-t-elle encore?", der ihm "La voilà!" entgegen schleudert und auf die zum Feuertod gehende Rachel zeigt. Personenführung scheint in heutigen Regisseur-Kreisen abhanden gekommen zu sein.

Eine weitere Kuriosität der Inszenierung sind die Auftritte von Prinzessin Eudoxie, die regelmäßig mit zwei kleinen Kindern und einem Baby auf dem Arm erscheint. Prinzessin Eudoxie ist doch die Tochter des Königs Sigismund und soll den Reichsfürsten Leopold heiraten? Daß zur damaligen Zeit, wo bereits die Inquisition begann (Jan Hus wurde - trotz des versprochenen freien Geleits - ja bei dieser Gelegenheit in Konstanz verbrannt), so etwas in königlichen Kreisen alltäglich gewesen war, ist wohl zu bezweifeln. Dem Verständnis der passabel komplexen Handlung ist es jedenfalls sehr abträglich.

Regisseur Günter Krämer und seine Akolythen haben einen wichtigen Punkt völlig vernachlässigt: Eugène Scribe hat in seinen ernsten Libretti immer hoch politische Themen angeprangert, speziell die religiöse Intoleranz - siehe Meyerbeers "Les Huguenots", "Le Prophète", "L'Africaine" und eben "La Juive". Davon ist hier kein Schimmer, keinerlei Anspielung.

Sehr erfrischend dafür war dafür das Dirigat von Frédéric CHASLIN, der dem ORCHESTER DER WIENER STAATSOPER die richtigen Impulse gab, um diese prächtige, komplexe Partitur in seiner ganzen Pracht zum Blühen zu bringen. Die zahlreichen Bläser-Soli war besonders heraus gearbeitet, ebenso wie die ausgezeichnete Begleitung der Sänger, wie das wunderbar subtile Duett Eudoxia - Rachel mit dem hüpfend-wogenden Thema. Thomas LANG hatte, wie gewohnt, den CHOR DER WIENER STAATSOPER ausgezeichnet einstudiert.

Neil SHICOFF ist heute der einzige, der die Rolle des Goldschmieds Eléazar singen kann und auch singt. Obwohl er ja nicht mehr der Jüngste ist, bringt er bewundernswerte Überzeugungskraft und Inbrunst auf. Seine Stimme hat zwar an Glanz und lyrischer Flexibilität eingebüßt, doch der Ausdruck ist völlig überzeugend, zumal er eine hervorragende Diktion besitzt. Man versteht sogar großteils den französischen Text. Nach dem inbrünstigen "O Dieu, Dieu de nos pères, parmi nous descends!", war Eléazars große Arie "Rachel, quand du Seigneur la grâce tutélaire" erschütternd und der Höhepunkt des Abends. Eine große Leistung! Es ist zu befürchten, daß nach seinem Abgang von der Bühne kein passender Nachfolger folgt und "La Juive" wieder in Vergessenheit gerät.

Seine "Tochter" Rachel, die Eléazar aus Hass gegen Brogni und religiösem Fanatismus dem Feuertod opfern wird, findet in Krassimira STOYANOVA eine hervorragende Interpretin. Stimmlich ist sie der schwierigen Rolle völlig gewachsen, denn sie besitzt diese Stimme, die man "Falcon" nennt, nach der ersten Interpretin der Rolle 1835. Außerdem spielt sie die Rolle mit großer Intensität und Überzeugung.

Prinzessin Eudoxie ist die zweite große Frauenrolle, für die die junge Teodora GHEORGHIU äußerst geeignet ist. Ihr schöner perlender Sopran ist ideal für diese naive Lichtgestalt. Die darstellerisch ausgesprochen schwierige Rolle des Kardinal Brogni war Alexandru MOISUC anvertraut, der an diesem Abend sein Rollendebüt in loco hatte. Es war sehr gelungen, denn der wunderbare basso cantante des jungen Rumänen ist genau richtig, und er spielt sehr gut.

Die fünfte große Rolle ist die des Reichsfürsten Léopold, äußerst schwierig darzustellen und sehr hoch komponiert. Diese hohe Tenorrolle ist vermutlich zu früh in der Karriere des jungen Koreaners Ho-yoon CHUNG aber er zog sich schließlich mit Ehren aus der Affäre. Denn der erste Eindruck, war eher mäßig: er war hörbar belegt und hätte das ansagen lassen sollen. Er sang sich aber im 2. Akt frei, war in der Pesach-Szene sehr viel besser und konnte zuletzt einen guten Abend für sich buchen.

Unter den Comprimarii ist vor allem Boaz DANIEL zu nennen als Ruggiero, ein fanatischer Eiferer, der der unsympathischen Rolle seine schöne Stimme lieh. Janusz MONARCHA war als Albert rollendeckend, ebenso wie die Bürger von Hacik BAYVERTIAN und Hiroyuki IJICHI. Als Offizier agierte Martin MÜLLER.

Musikalisch ein guter Abend. Das volle Haus dankte den Solisten, vor allem Shicoff, Stoyanova, Gheorghiu und Moisuc , sowie dem Dirigenten Chaslin mit tobendem Beifall. wig.