"ARIADNE AUF NAXOS" - 17.10.2010

Als Sohn einer großen Liebhaberin von Richard Strauss habe ich die meisten seiner Opern schon auf der Bühne gesehen, einige davon bereits in mehreren Inszenierungen, und die eher einfallslose "Ariadne"-Inszenierung der Wiener Staatsoper bereits mehrfach. Das neue Projekt des Theaters an der Wien unter der Regie von Harry KUPFER stellte deshalb sozusagen eine willkommene Abwechslung dar, da Kupfer schließlich bekannt dafür ist, ein Werk aus einer neuen Perspektive erscheinen zu lassen.

Tatsächlich wurden meine Erwartungen nicht enttäuscht, sondern sogar noch übertroffen. Kupfer und seinem Team ist es gelungen, "Ariadne" konsequent in eine moderne Fassung zu übersetzen, ohne dabei dem Libretto oder der Musik Gewalt anzutun, und er beweist damit, daß Strauss' bissige Satire auf die Gesellschaft und ihren Umgang mit Kultur zeitlos ist, heute noch genauso gültig wie vor hundert Jahren.

Das Vorspiel spielt in einer gesichtslosen Flughalle (das sich perfekt ins Regiekonzept einfügende Bühnenbild stammt von Hans SCHAVERNOCH), in der sich die Künstler auf einer der vielen Stationen in ihren Reisen einfinden. Die Umgebung wirkt voll von Hektik und mangelnder Organisation, in der die Protagonisten dieses Aktes krampfhaft versuchen, ein wenig Ordnung zu schaffen. Während der Haushofmeister (ein sehr blasierter Michael MAERTENS) Befehle gibt und der Musiklehrer (schauspielerisch gut, gesanglich mäßig: Jochen SCHMECKENBECHER) und der Tanzmeister (unauffällig: Jürgen SACHER) als Manager umher hasten, wirkt der Komponist (Heidi BRUNNER) fremd und verloren. Er ist die zentrale Gestalt dieses ersten Aktes, praktisch immer auf der Bühne, auf der er oft orientierungslos umher zu irren scheint, und Brunner spielt die Rolle überzeugend und vermag auch gesanglich zu glänzen. Daß sie trotz aller Bemühungen nie wirkt wie ein junger Mann, sondern auf den ersten Blick als Frau zu erkennen ist, ist nicht ihre Schuld, sondern die generelle Problematik der Hosenrollen.

Ohne Pause geht das Vorspiel über in die Oper. Der Raum, der den Protagonisten des zweiten Aktes überlassen bleibt, ist sehr beschränkt, denn die Bühne ist belagert von Zuschauern, die uns nicht nur daran erinnern, daß wir es hier mit einer Oper in der Oper zu tun haben, sondern sich auch so verhalten, wie wir alle es wohl schon bei irgendeinem kulturellen Anlaß zu unserem Leidwesen erfahren haben: Sie plaudern, sie essen, sie verlassen die Bühne vorübergehend, sie schlafen. Der Offizier (Erik ÂRMAN) verfolgt die weiblichen Darsteller, wenn er nicht gerade telefoniert. Über Bildschirme am Rand flimmern zuweilen Börsenkurse.

Ebenso bleiben die Darsteller in der Oper immer Darsteller, die eine bestimmte Rolle zu spielen haben. Unter diesen sind besonders die beiden weiblichen Hauptfiguren hervorzuheben: Anne SCHWANEWILMS als eine stimmlich überzeugende, wenn auch anfänglich etwas tremolierende Ariadne, die ihre Rolle mit Würde spielt, und die junge Norwegerin Mari ERIKSMOEN als eine gesanglich und darstellerisch hervorragende Zerbinetta, charmant, hübsch, heiter, zuweilen ein wenig nachdenklich. Nikolay BORCHEV als Harlekin spielt gut mit ihr zusammen; das Clown-Paar harmoniert sowohl darstellerisch als auch gesanglich (wenngleich Borchev das hohe stimmliche Niveau von Eriksmoen nicht erreichen kann).

Die kleineren Rollen nicht herausragend besetzt, aber durchaus passabel: Charles REID als Brighella, Nicholas WATTS als Scaramuccio und Simon BAILEY als Truffaldin zeigen in ihren bunten Kostümen (entworfen von Yan TAX) viel lebhafte und engagierte Bühnenpräsenz. Die Nymphen fallen im Vergleich schwächer aus; hier ist einzig Maria RADNER als Dryade stimmlich überzeugend, während Hendrickje van KERCKHOVE (Najade) und Violet NOORDUYN (Echo) eher enttäuschend sind.

Für Bacchus gilt wieder einmal der alte Scherz in meiner Familie: Auf dieser Rolle lastet ein Fluch, man sieht einfach keinen guten auf der Bühne. Diesmal war mir das schon von vornherein klar, denn Johan BOTHA ist einfach ein Sonderproblem: Ein Sänger mit einer solchen Leibesfülle, daß man schon fast von einem Äquator sprechen muß, kann auf der Bühne nicht anders wirken als lächerlich. Wenn er zumindest die Stimme eines Pavarotti hätte, könnte man ihm sein Aussehen noch zu einem gewissen Maß verzeihen, aber gesanglich ist er höchstens zweitklassig. In den mittleren Lagen klingt seine Stimme angenehm, in den Höhen und bei größerer Lautstärke allerdings sehr schnell gepreßt, und sein Mangel und technischer Präzision sowie die für ein halbwegs geschultes Ohr immer wieder hörbaren technischen Fehler machen ihn zu einer Zumutung.

Kupfer hat den einzig sinnvollen Weg gewählt: Er läßt Botha eine Figur spielen, wie wir sie aus Andrew Lloyd Webbers "Phantom of the Opera" kennen, einen arroganten Fettwanst von einem Tenor, der sich in seiner maßlosen Eitelkeit seiner Lächerlichkeit nicht im geringsten bewußt ist. Am Ende ist er dann nur "Synchronstimme" und steht mit alberner Gestik vor einem Notenständer, während Bacchus vom Darsteller des Harlekin gespielt wird - sehr passend zu Zerbinettas ironischer Bemerkung am Schluß -, und während er Ariadne zu seinem Schiff führt (das in dieser Version ein mit Pflanzen dekoriertes Space Shuttle ist, das sie in eine bessere Welt führen soll), drängt sich der eitle Tenor ins Zentrum der Bühne, wo er alleine zurückbleibt - ein sehr ernüchterndes Bild, das uns sofort auf den Boden der Realität zurückbringt, in dem die die paar verbliebenden Zuschauer Beifall klatschen. Am Ende ist alles nur Theater. Lucian Röthlisberger