"TIEFLAND" - 9. Juli 2006

Als allerletzte Vorstellung der insgesamt nicht wirklich befriedigenden Saison 2005/2006 gelangte nochmals die vor einer Woche als Festspielpremiere gezeigte Oper "Tiefland" zur Aufführung.

Nach mehrmaligem Hören vermag die musikalische Umsetzung immer mehr zu überzeugen. Auch wenn Eugène d'Albert eine eigene Handschrift abgesprochen werden muß, er versteht es meisterhaft, überall etwas zu entlehnen. Sei es nun beim übermächtigen Wagner (den er eigentlich explizit vermeiden will), sei es bei Puccini, Mascagni, Bizet oder bei Operetten- und Liedmelodien sowie Folklore, alles ist perfekt miteinander verwoben und ergibt - trotz des "déjà-vu"-Erlebnisses - ein durchaus spezielles und gekonntes Klangbild.

Dies ist nicht zuletzt dem GMD der Zürcher Oper, Franz WELSER-MÖST, zu verdanken, der an diesem Abend seinem ORCHESTER noch schmelzendere Klänge und blühendere Farben entlockte als in den vorher besuchten Vorstellungen. Die Musik wurde zum narkotisierenden Schwelgen; das Orchester spielte hervorragend, die Holzbläser betörend, und alleine deswegen lohnte sich der Besuch.

Ebenfalls hervorragend schlugen sich die Protagonisten nach einer schweren Woche mit vier Vorstellungen eines anspruchsvollen Werkes, allen voran ein unvergleichlicher Peter SEIFFERT in der Rolle des tumben (??) Hirten Pedro. Diese Rolle ist ihm auf den Leib (und die Stimme) geschneidert. Von den zartesten lyrischen Pianotönen bis hin zum dramatischen Ausbruch wagnerschen Ausmasses, von der Naivität bis zur Erkenntnis - alles vermochte Seiffert in seine Stimme zu legen. Schade, daß er- trotz hervorragender Diktion - mit dem Text ("wie üblich", möchte ich fast sagen), bisweilen seine liebe Mühe hatte. Das führte manchmal zu unschönen "Dialogen" mit dem Souffleur.

Seine Angetraute Marta (Petra Maria SCHNITZER) war nach dieser arbeitsintensiven Zeit der Proben und Aufführungen nicht mehr ganz so souverän wie an der Premiere, einige hohe Töne gerieten ihr etwas schrill. Aber sie überzeugte ansonsten durch ihre Darstellung und stimmlichen Kapazitäten vollauf und zeichnete ein überzeugendes Rollenportrait dieser zuerst devoten, dann jedoch aufbegehrenden Frau.

Mit dem bösen Sebastiano (Großgrundbesitzer, der sich Marta als Minderjährige zur Geliebte nahm, indem er ihre Lage schamlos ausnutzte und der sie jetzt - um eine reiche Frau heiraten zu können - mit Pedro vermählt, nicht ohne weiterhin auf sie "zugreifen" zu wollen) konnte man nach langer Zeit wieder Matthias GOERNE in einer Opernrolle auf der Bühne sehen. Für mich nicht ganz befriedigend, denn seine Stimme sitzt mir zu tief hinten in der Kehle, und die Tessitura des Stücks scheint ihm nicht wirklich zu liegen. Die hohe Lage meisterte er eindrücklich, da befand sich die Stimme auch wieder in der Maske und konnte aufblühen. Die tiefe Lage geriet jedoch nicht nach Wunsch. Auch fehlte es ihm meines Erachtens an darstellerischer Bösartigkeit und Schleimigkeit. Allerdings muß neidlos zugestanden werden, daß ihm seine Liederfahrung sehr zustatten kam (vor allem bei dem Tanzlied "Hüll in die Mantille dich fester ein…").

Lászlo PÓLGAR als Tommaso, Rudolf SCHASCHING als Nando sowie vor allem Eva LIEBAU als überragende naive Nuri seien aus dem Ensemble speziell hervorgehoben.

Die Inszenierung vom designierten Burgtheater- und jetzigen Zürcher Schauspielhausdirektor Matthias HARTMANN überzeugt auch beim dritten Mal nicht. Er verlegt den ersten Akt aus den Pyrenäen in ein Klon-Labor. Tommaso (Ältester der Gemeinde) wird zum Laborleiter, der versucht, die Geisteswelt von Personen zu erfassen. Sebastiano ist Herr über ein Wirtschaftsimperium. Er wählt aus diesen Gefühlswelten diejenige von Pedro aus, um ihn seiner Marta zum Mann zu geben. Klingt abstrus und ist es auch, auch wenn die Videoprojektionen von Berglandschaften und Schafen durchaus ihren Reiz haben und im Gegensatz zu denjenigen in Hartmanns erster Regie "Die verkaufte Braut" zumindest ob der Fülle die Zuschauer nicht ermüden.

Die zwei anderen Akte hingegen bebildern in durchaus gekonntem Handwerk nur noch das Libretto. Da offensichtlich kein schlüssiges Ende herbeigeführt werden konnte, schiebt Tommaso seine "Gefühlsmaschine" einfach in das Bühnenbild (das Innere einer Mühle) hinein, und Pedro und Marta lassen sich wieder in die imaginäre Bergwelt zurückversetzen. Was meiner Meinung nach absolut keinen Sinn macht; denn warum soll ausgerechnet das "wandelnde Gewissen" Tommaso diesen Akt vollziehen?

Das Fazit hat sich gegenüber der Premiere noch verstärkt: eine absolut musikalisch gelungene Wiederentdeckung eines hörenswerten Werkes (wenn auch sicherlich kein Meisterwerk!) mit hervorragender Sängerleistung. Die Inszenierung stört zwar nicht weiter und hat einige gute Ansatzpunkte. Man kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, daß Hartmann sich des Stücks nicht wirklich annimmt - vor allem, wenn das Gerücht stimmt, daß die Personenführung - die zum Stärkeren der Inszenierung gehört - allein das Verdienst der Sänger ist… Chantal Steiner