"SIMONE BOCCANEGRA" - 28. Oktober 2006

Endlich gelangte wieder die Inszenierung von Marco Arturo MARELLI aus dem Jahre 1994 zur Aufführung, die mich immer noch begeistert. Über drei Jahre mußten wir darauf warten - und nun kam sie in einer hochkarätigen Besetzung!

Die Inszenierung hat nichts von ihrer Spannung eingebüßt. Sie ist sehr sparsam mit Requisiten und lebt von der Personenführung. Manchen mag sie zu dunkel sein, aber ist nicht das ganze Werk "dunkel"? Ich persönlich mag minimalistische Inszenierungen, denn da lenkt nichts von der Handlung ab.

Als "Dr. Faust" war Thomas HAMPSON vor einem Monat in Zürich zu hören gewesen. Obwohl ich mir kaum einen besseren Darsteller für diese Rolle vorstellen könnte, war ich doch etwas erschrocken über seine Stimme: Die Rolle forderte ihm (zu) viel ab, die Höhen klangen gepreßt, die Tiefe hat er nun mal ganz einfach nicht, und insgesamt klang die Stimme arg abgesungen. Von dem allem war als Simone nichts, aber auch gar nichts zu hören! 2003 beeindruckte Hampson mich in dieser Rolle bereits durch seine Darstellung, mir ging jedoch die Differenziertheit eines José van Dam oder eines Juan Pons (Vorgänger in dieser Inszenierung) ab. 2003 war Hampson aber auch erst am Beginn seiner Auseinandersetzung mit dem Simone.

Mittlerweile ist die Rolle ihm in Fleisch und Blut (und Stimme) übergegangen. Manche mögen bemängeln, seine Stimme sei einfach keine Verdi-Stimme. Geschenkt! Mit seiner Leistung vermochte er sich in alle Herzen zu singen. Seine Stimme verfügt nun über die nötige Differenziertheit, er kann im Pianissimo wie auch im Fortissimo auftrumpfen. Gänsehaut kriegte ich bei seiner Szene mit Paolo im Ratssaal; da wurde dem "armen" Paolo wirklich angst und bange!

Die zweite positive Überraschung war Neil SHICOFFs Adorno. Ich war sehr skeptisch, ob dieser ihm nicht bereits "aus der Kehle gewachsen" sei. Aber nach seinem sehr passablen "Don Carlo" im September war dies nach langer Zeit das zweite Mal, daß Shicoff wirklich sang, und die Töne nicht einfach nur stemmte und auf Teufel-komm-raus hielt. Er differenzierte für seine Verhältnisse ausgesprochen gut und fügte sich sehr homogen ins Ensemble ein. Barbara FRITTOLI war eine wunderschön anzuschauende Amelia, eine berührende Darstellerin und Sängerin. Auch wenn anfangs ihr Vibrato etwas ausgeprägt war, so vermochte sie dieses im Laufe des Abends gänzlich unter Kontrolle zu bekommen.

Ebenfalls erfreulich war die stimmliche wie darstellerische Präsenz von Cheyne DAVIDSON als Paolo. Die Stimme ist größer geworden, sie blüht richtiggehend auf und vermag das ganze dynamische Spektrum abzudecken. Einzig Carlo COLOMBARA (Fiesco) gelang es nicht ganz, mich zu überzeugen. "A te l'estremo addio" war nicht über alle Zweifel erhaben (die Stimme klang etwas brüchig, es gab Probleme in den Höhen und einige Intonationsschwierigkeiten). Im Verlaufe des Abends steigerte er sich erheblich, nur: Für mich ist er ein etwas langweiliger Darsteller (egal, welche Rolle er singt) und auch stimmlich fehlen mir die Emotionen. Aber dies sind persönliche Präferenzen.

Last but not least: Das Dirigat von Stefano RANZANI ließ keine Wünsche offen. Er vermochte die Spannung stetig zu steigern, begleitete höchst sängerfreundlich und entlockte dem ORCHESTER eine erfreuliche Leistung.

Das Zürcher Publikum zeigte sich begeistert: Standing Ovations und nicht enden wollender Applaus (so etwas habe ich hier schon sehr lange nicht mehr erlebt)! Chantal Steiner