"DON GIOVANNI" - 9. September 2009

Das "Dramma giocoso" "Don Giovanni" ist an der Grenze zwischen todernstem Drama und liederlicher Zwiespältigkeit. Regisseur Sven-Eric BECHTOLF hat sichtlich eine gewisse Ehrfurcht vor Da Pontes Libretto und noch mehr vor Mozarts Musik. Er beruft sich im Programm auf Kierkegaard und macht einige Bemerkungen über die Zeitlosigkeit des Werks und der Typisierung der Personen und stellt mehrere Fragen: "Kann man das inszenieren?" und beantwortet sie alle mit "Nein" oder "Kaum". Man fragt sich, weshalb er die Inszenierung überhaupt unternommen hat!

Daher ist die Verlegung der Handlung in eine Mafia-Gesellschaft, wo immer einige Herren in weißen oder schwarzen Smokings und offenen Messern und leicht geschürzte Damen herumlaufen, eher lächerlich. Bechtolf sind zu allem Überfluß auch einige schwere Schnitzer unterlaufen: Donna Anna singt ihre Rachearie "Or sei chi l'onore" wie angeschraubt auf einer Plüschbank, turnt dann herunter und ist noch auf der Bühne, wenn Don Ottavio das Rezitativ seiner Arie beginnt; Zerlina singt "Batti, batti, mio Masetto" alleine in dürftiger Kleidung und Masetto erscheint erst am Ende der Arie.

Die Mafiosi mimen Bäume in der Verkleidungsszene zwischen Donna Elvira und Leporello in strahlendem Licht, was die Verwechslung völlig lächerlich macht. Die Verwandlung des "steinernen Gastes" in eine afrikanische Holzskulptur, anscheinend ein Fruchtbarkeitssymbol, die von einer mehrmals herum geisternden schwarzen Schönheit in weißem Kleid auf eines der Sofas gestellt wird, ist wohl das Absurdeste was ich gesehen habe. Aus dem Bauch der Statuette entnimmt dann Leporello einen Zettel, auf dem Inschrift des Grabmals zu lesen ist!

Das Einheits-Bühnenbild von Rolf GLITTENBERG schwankte zwischen kitschig und schäbig: links eine Reihe von kupferfarbenen Blech-Wänden und rechts mehrere kitschige Leuchten, Im tiefsten Hintergrund (d.h. von Seitensitzen nicht zu sehen) ergänzte ein unnötiges Video der im Vordergrund spielenden Handlung seitenverkehrt. Mehrere blaue Plüsch-Sitze und -Sofas dienten für alles: Sitze, Liegen, aber auch als Grabsteine, auf denen bisweilen Sänger saßen und auf ihren Auftritt warteten. Mehreren Zwecken diente auch eine dunkelgrüne Bar, als Anrichte, Masetto versteckte sich auch dahinter oder Leporello fütterte stehend Don Giovanni mit Spaghetti (sehr unappetitlich). Die Kostüme von Marianne GLITTENBERG waren passend, obwohl die Tänzerinnen meist nur mit einigen Fähnchen bekleidet waren.

Stefano GIANETTIs Choreographie beschränkte sich darauf, die jungen Damen in Unterwäsche zu beschäftigen und die messerstechenden Herren zu reihen. Im Finale des 1. Akts war der Pinguin-Mambo zum Menuett allerdings schon "too much". Die durchwegs gleißend helle Beleuchtung hatte Jürgen HOFMANN gemacht, anscheinend auf des Anweisung des Regisseurs!

Um so erbaulicher war die musikalische Seite der Aufführung. In Zürich ist Theodor GUSCHLBAUER durch die Vorstellungen der Saisoneröffnungen in Winterthur bekannt und beliebt und zeigte sich von seiner aller besten Seite. Bereits die Ouvertüre war straff und spannend dirigiert. Er hielt die Präzision und Steigerung während der ganzen Vorstellung durch und gab den Sängern praktisch jeden Einsatz. Das Masken-Terzett und die Finales waren besonders gelungen! Der CHOR (ausgezeichnet und präzise einstudiert von Ernst RAFFELSBERGER) und das ORCHESTER DER OPER ZÜRICH folgten dem Dirigenten mit hörbarer Begeisterung.

Die Sänger waren durchwegs hervorragend. In erster Linie ist der phänomenale Don Giovanni von Carlos ALVAREZ zu nennen. Man glaubt dem Spanier jeden Augenblick den Erfolg bei den mille e tre Spanierinnen, denn er spielt mit größter Überzeugungskraft. Was aber besonders besticht, ist die hervorragende stimmliche Leistung. Er singt von Anfang an mit voller Stimme, keinerlei Bruch im Registerwechsel und singt nach dreieinhalb Stunden ein hohes "A" ohne zu forcieren, als wäre er ein Heldentenor! Einfach umwerfend!

Sein Leporello war Ruben DROLE, ein hervorragender junger Bariton mit prachtvoller Stimme und klugem Spiel zwischen Unterwürfigkeit und Aufmüpfigkeit. Elena MO?UC war eine hervorragende Donna Anna. Sie sang ihre Rachearie stimmlich perfekt mit großer Wut und das Rondo des 2. Akts war verhalten, ja innig. Malin HARTELIUS meisterte die schwierige Rolle der Donna Elvira mit wunderbarer Phrasierung und ausdrucksvollem Spiel, immer an der Grenze zwischen Verzweiflung (hinreißend "Mi tradi") und possessiver Liebe.

Um 15h sprang der junge Schweizer Bernard RICHTER für den erkrankten Christoph Strehl als Don Ottavio ein und machte seine Sache ausgezeichnet, obwohl er mit einer blöden grau-weißen Perücke bedacht war. Das alterte ihn zwar (wozu?), aber sein jugendlicher Tenor und die hervorragende Phrasierung widersprachen seinem Kostüm. Als Komtur punktete Alfred MUFF mit seinem Prachtbaß. Die entzückende Laura GIORDANO sang die Zerlina, mit wunderbar geführter Stimme und Ausdruck, sowie jugendlichem Charme. Als ihr geliebter Masetto war Reinhard MAYR hervorragend, denn seine Stimme und Darstellungskraft ist sicher "zu Höherem" berufen. In ein paar Jahren ganz sicher ein sehr guter Holländer.

Ein musikalisch wunderbarer Abend, den das Zürcher Publikum, trotz der dämlichen Inszenierung, mit ganz großem Applaus bedachte. wig.