"ERNANI" - 11. September 2009

"Hernani" von Victor Hugo war die Vorlage für Verdis 5. Oper und wurde 1844 von Francesco Maria Piave adaptiert. Weder Hugo noch Piave nehmen es mit den historischen Tatsachen ganz genau. Denn Don Carlo ist der blutjunge (16 Jahre!) Habsburger König Carlos I. von Aragon, dem der Titelheld den Rang streitig macht. Denn Ernani ist eigentlich Don Juan d'Aragon, der eigentliche Thronanwärter. Carlos wurde 1500 in Gent geboren, sprach normalerweise flämisch, mäßig französisch und italienisch, kaum spanisch und ganz schlecht deutsch. Deshalb war die Urkunde seiner Brüsseler Abdankung von 1555 lateinisch abgefaßt.

Carlos wurde zuerst neunzehnjährig zum deutschen König als Karl V. gewählt und ein Jahr später zum deutschen Kaiser gekrönt und von Papst Clemens VII. erst zehn Jahre später als römisch-deutscher Kaiser gesalbt. Er führte mehrere Kriege gegen François I. von Frankreich und dessen Verbündeten, Sultan Suleiman den Prächtigen. Außerdem mußte er sich noch mit Luthers Reform und dem Schmakaldischen Bund herum schlagen. 1555 dankte der Kaiser "in dessen Reich die Sonne nicht unterging" total erschöpft ab und starb drei Jahre später in San Yuste in Estramadura. In Wien wurde 2000 dem großen Habsburger mit einer großen Ausstellung gedacht.

Das schon genügend komplizierte Libretto von Piave kommt allerdings nicht an die historische Geschichte heran. Denn das Libretto dreht sich essentiell um Elvira, die gleich von drei Männern geliebt wird, aber nur den "Banditen" Ernani will. Das Libretto ist dramatisch sehr wirkungsvoll und der grad dreißigjährige Verdi hat hier seine ganze Meisterschaft der Melodie, Instrumentation und dramatischer Inspiration geliefert. Es ist sehr schade und unverständlich, daß diese prächtige Oper nur selten gespielt wird. Denn was es hier an Cabaletten, Stretten, Kavatinen und großen Ensembles gibt, kann sich mit der ersten großen Trilogie messen, ebenso die dramatische Verarbeitung mit "Simone Boccanegra" oder "Otello". Die vielfache solistische Verwendung von Trompeten und Klarinetten ist höchst stimulierend.

Die Zürcher Aufführung war hervorragend. Die Inszenierung von Grisha ASAGAROFF, Zürichs Hausregisseur, war klassisch und opulent, ohne jeden Versuch, dem Publikum etwas erklären zu wollen. Abgesehen davon, daß das viel zu weit ginge, hat das Publikum es kaum nötig "belehrt" zu werden. Das Bühnenbild von Dante FERRETTI bedurfte deshalb keiner Videos und anderen Unfugs. Das gilt auch für die Kostüme von Gabriella PESCUCCI, nach Bedarf prächtig oder dezent. Jürgen HOFFMANN zeichnete für die passende Beleuchtung.

Altmeister Nello SANTI dirigierte stehend und auswendig die ganze Oper ohne Partitur und arbeitete den Schwung dieser fulminanten Musik perfekt heraus. Das ORCHESTER DER OPER ZÜRICH folgte ihm auf einen kleinen Fingerzeig oder einen Blick und der von Jürg HÄMMERLE einstudierte CHOR sang prächtig und spielte auch dazu sehr passend.

Die Sänger waren ohne Ausnahme ausgezeichnet und bereits der 1. Akt brachte wahre Feuerwerke. Die äußerst schwierige und anstrengende Titelrolle sang Salvatore LICITRA sehr gut. Aber wie in "Aïda" kommt der arme Tenor auf die Bühne und muß sofort eine große Arie schmettern. Deshalb war seine Auftrittsarie "Come rugiada al cespite" ziemlich eng und halsig gesungen. Er sang sich aber rasch frei, und die restliche Aufführung war sehr gelungen. Zumal der Italo-Schweizer mit sehr viel Einsatz singt und ausgezeichnet spielt, was eine sehr glaubhafte Darstellung des Ernani ergab.

In der kaum weniger schwierigen Rolle der Elvira war Joanna KOZLOWSKA ausgezeichnet. Die Sängerin, die ich vor einigen Jahren noch als sehr gute Mozart-Sängerin kannte, hat sichtlich im italienischen spinto Fach ihre wahre Berufung gefunden. Bereits in ihrer Cabaletta "Ernani, Ernani, involami" konnte man ihre stimmlichen Qualitäten erkennen, die sie im Laufe des Abends bestätigte.

Als König Don Carlos I, der heimlich in Silvas Haus eindringt, um Elvira zu verführen und dann Kaiser Karl V. wird, war Thomas HAMPSON absolut umwerfend. Bereits das erste Duett mit Elvira war ein Feuerwerk. Im 3. Akt war der grübelnde Monolog "Gran Dio! ... Oh, de' verd'anni miei" vor dem Grabmal Karls des Großen (das doch in Aachen ist und nicht in Spanien, aber das stört doch Piave nicht!) ein Triumph für den hünenhaften Amerikaner.

Als weiterer Gegner Ernanis war Carlo COLOMBARA als sehr sturer, aber würdiger Da Silva zu erleben. Sein Auftritt, wo er Carlo und Ernani bei Elvira findet ("Infelice!"), gefolgt von "L'offeso onor, signori, inulto non andrà") war sehr eindrucksvoll. Bis der königliche Bote Don Riccardo (Miroslav CHRISTOFF) als Deus ex machina mit "Sol fedeltate e omaggio al re si spetta" den König erkennt. Das dreht die Handlung völlig um und führt in einer Stretta mit Solo-Trompeten zu einem der fabelhaftesten Finale Verdis. Das zweite Finale endet mit Ernanis Horn-Übergabe an Silva und dem fulminanten Rache-Duett "Sangue! Vendetta!". Die ganze restliche Aufführung war von derselben ungewöhnlichen Dichte und wurde mehrmals von Szenen-Applaus unterbrochen.

Giuseppe SCORSIN als Jago und Huiling ZHU als Giovanna, die vergeblich versuchte, Don Carlo aus Elviras Gemach zu verscheuchen, waren rollendeckend.

Triumphaler Applaus für alle Künstler, vor allem für die Zürcher Publikumslieblinge Nello Santi und Thomas Hampson. wig.