Nachdem Karita MATTILA im letzten Jahr einen Exklusivvertrag mit der Plattenfirma ERATO abgeschlossen hat, ist dieses nun das erste Solo-Recital für diese Firma (zwar gab es im Jahre 1985 schon einmal ein Arienrecital bei Phillips, aber jenes ist schon seit längerem aus den Plattenkatalogen verschwunden). Im Gegensatz zu anderen Kolleginnen oder Kollegen, die bei einer Zusammenstellung von Arien oft ein Repertoire singen, welches sie nie auf der Bühne singen würden - um zu beweisen, daß auf Tonträger doch ein jeder eine "Primadonna assoluta" sein kann, und dabei manchmal böse abstürzen (man nehme da als Beispiel Angela Georghius nicht wirklich gelungenes Belcanto Recital...) - hat sich Karita Mattila glücklicherweise an ein Repertoire gehalten, welches ihren momentanen stimmlichen Fähigkeiten voll und ganz entspricht - und da ihre stimmlichen Fähigkeiten nicht eben klein sind, läßt das schon vor dem Hören auf vieles hoffen.

Daß die Hoffnungen dann voll und ganz erfüllt werden, liegt mit Sicherheit auch daran, daß jede der dargestellten Charaktere auch schon in Bühnenaufführungen Leben eingehaucht werden konnte (wenngleich Sieglinde auch nur konzertant), was gerade einer so bühnendarstellerisch begabten Sopranistin wie Karita Mattila mit Sicherheit im Studio zugute kommt. Da ich selbst schon das Glück hatte, ihre Lisa, Elsa, Jenufa und Chrysothemis in Aufführungen zu erleben (neben ihrer grandiosen Elisabeth de Valois, die ja von EMI live mitgeschnitten wurde), fühle ich mich erfreut zu sagen, daß die Interpretationen der Arien im Studio wenig an Ausdruck verlieren. Karita Mattilas Stimme zeichnet sich dadurch aus, daß sie gleichzeitig zu dramatischen Ausdrüken fähig ist, ohne dabei überstrapaziert zu wirken, aber gleichzeitig auch im piano schwelgen kann und zu wunderbarem legato fähig ist; eine jugendlich-dramatische Stimme par excellence. Nordisch und klar im Klang (dieses Stereotyp ist einmal wirklich passend), aber doch weich und vor allem sinnlich, in gewisser Weise an Leonie Rysanek erinnernd - und Leonie Rysanek hatte Karita Mattila schon in vor Jahren prophezeit, daß sie einmal eine phantastische Isolde sein würde. Daß sie diese bisher noch nicht in ihr Repertoire aufgenommen hat, zeigt von klugem "Karriereaufbau", und ob es diese jemals geben wird, wird die Zukunft zeigen (denn auch die Rysanek hat die Isolde ja nie gesungen, obwohl es ihr am Herzen lag).

Sei es Elsas elegischer Traum (seit Gundula Janowitz hat man diesen nicht mehr so entrückt gehört - es ist nicht die ausschließliche Sichtweise dieser Arie, aber eine durchaus einsichtige), oder Chrysothemis' Hysterie, beides wird überzeugend interpretiert und mit einem Ton gesungen, der, auch wenn er in mancher Höhe doch in Grenzbereiche stößt (die ja jede Sängerin hat - das Können liegt halt darin, sie nicht allzu oft zu überschreiten, und darin war die Mattila bisher sehr löblich), aber eher dazu dient, den Charakter auszudrücken, denn unangenehm zu klingen. Auch die Diktion, gerade des deutschen, ist außergewöhnlich klar. Sei es das slawische Fach oder das deutsche, Karita Mattila scheinen im Moment stimmlich wenig Grenzen gesetzt. Fast ebenso überzeugend ihr Verdi und Puccini (obwohl es schade ist, daß Manons "Sola, perduta, abbandonata" nicht aufgenommen wurde, wo doch die Laufzeit der CD dies gut und gerne zugelassen hätte ... ebenso wie die italienische Fassung von Elisabettas großer Szene im letzten Akt des "Don Carlos" - aber Karita Mattila hat selbst gesagt, daß für sie nur die französische Fassung in Frage kommt, und daran hat sie sich denn wohl auch gehalten...), wenngleich gerade in der orchestralen Begleitung der Arie der "Boccanegra"-Amelia ein wenig der rhythmische Rückhalt fehlt, da geht es doch im Orchester etwas zu "gemütlich" zu. Im großen und ganzen ist das Dirigat von Yutaka SADO fähig, wenn auch selten inspiriert, was gerade bei Chrysothemis doch die Hysterie im Orchester vermissen läßt, die aber die Sängerin so gut zu vermitteln in der Lage ist (im übrigen singt Karita Mattila auch die wenigen Zeilen der Elektra in dieser Arie ... und weiß einen anderen Stimmklang dafür zu finden, auch wenn man natürlich hört, daß es ein- und dieselbe Sängerin ist). Das LONDON PHILHARMONIC ORCHESTRA spielt sehr gut, aber man wundert sich doch, wozu es unter einer etwas prägnanteren Stabführung (warum nicht Haitink oder Nagano?) doch in der Lage gewesen wäre. Aber dies sind kleine Nörgeleien - und im Endeffekt hört man sich dieses Recital doch gerade wegen Karita Mattila an, die hier "kam, sang und siegte"!

Es ist nicht übertrieben zu sagen, daß Karita Mattila nun wohl den Zenit ihrer stimmlichen Kraefte erreicht hat - und möge dieser noch Jahre oder Jahrzehnte andauern. Gespannt warten wir auf das was noch kommen mag ... (eine vollständige "Jenufa" wurde letzten Monat live von ERATO mitgeschnitten, welche Mattila mit Anja Silja zusammenbrachte: Veröffentlichung bitte sobald als moeglich!!!) BDA