Wolf-Ferraris Oper "Sly" führte in den vergangenen Jahrzehnten ein Dornröschen-Dasein, bis sie entsprechend dem Untertitel ("Die Legende vom wiedererweckten Schläfer") wachgeküßt wurde. Auch wenn es zuvor schon Erweckungsversuche gegeben hatte, ist die Auferstehung des Werks untrennbar mit José CARRERAS verbunden, der die Rolle erstmals im Mai 1998 in Zürich sang. Koch Schwann (3-6449-2) legt jetzt eine Live-Aufnahme des Werkes vor, die auf einige Vorstellungen des Oper im Juni 2000 in Barcelona zurückgehen.

Auf CD wird noch deutlicher, was schon bei den Vorstellungen in Zürich zu merken war. José Carreras verausgabt sich vollständig, er scheut auch häßliche Töne nicht, wenn es der Rolle dient, und bringt soviel Leidenschaft in die Rolle ein, als singe er um sein Leben. Der Tenor verfügt gerade in dieser Partie über Nuancen, die ihm niemand nachzusingen vermögen dürfte. Beim Bärenlied ist bereits, trotz des vordergründig komischen Inhalts (Bär verliebt sich in Katze, Katze kann keine Bärensprache, Bär frißt Katze), die ganze Tragik des weiteren Geschehens in der Stimme zu vernehmen.

Der Rest der Besetzung ist dagegen fast unauffällig. Isabelle KABATU singt brav die Noten der Dolly, aber sie vermag nicht zu packen. Sherrill MILNES (Graf von Westmoreland) gestaltet dagegen die nicht sonderlich große Rolle exzellent und rückt die Figur in Scarpia-Nähe nach dem Motto "Jeden Tag eine böse Tat." Die weiteren Rollen bleiben Episode. Es fällt positiv auf, daß die Zeiten, zu denen Live-Aufnahmen vom Liceu auch durch sehr schlechte Wurzen in Erinnerung blieben, vorbei zu sein scheinen. Es gibt keinen Ausfall unter den siebzehn Sängern (teilweise in Doppelrollen), so daß hier ein Pauschallob angebracht ist.

Die musikalische Leitung obliegt David GIMÉNEZ, der mit viel Drive bei der Sache ist. Sind die ersten zwei Bilder sehr tänzerisch genommen, so daß das Stück in Richtung der commedia dell'arte gerückt wird, ändert sich mit dem Kippen der Handlung ins Tragische auch das Klangbild des Orchesters. Da wird das letzte Quentchen Leidenschaft herausgequetscht, so daß Carreras in der großen zwanzigminütigen Schlußszene eine kongeniale, optimale Unterstützung erhält. Die CD ist nicht nur für Carreras-Fans unbedingt habenswert, sondern für jeden, der von einer Aufnahme mehr als reinen Schöngesang verlangt. MK