Die Inszenierung nach Peter BEAUVAIS in den Bühnenbildern und Kostümen von Pierre Luigi SAMARITANI ist auch nach Jahrzehnten noch hübsch anzusehen, auch wenn mittlerweile jeder tut, was er will. Weniger schön ist allerdings, was sich zeitweilig in dieser Inszenierung tut. Während im Graben Dirigent Philippe AUGUIN keine wirklichen Akzente setzte und eher Langeweile verbreitete, kann man diese ob der Orchesterleistung nicht einmal gepflegt nennen. Zwar hielten sich die Verspieler im Gegensatz zu sonstigen Repertoire-Vorstellungen in Grenzen (ein zweifelhaftes Kompliment), aber der Gesamtklang war nicht gerade edel. Ganz schlimm war es an diesem Abend um den CHOR (Leitung: Ulrich PAETZHOLDT) bestellt. Auf den Ausstieg beim Auftreten der Zigarettenarbeiterinnen kann man sich ja schon mit schöner Sicherheit seit Jahren verlassen (gibt es eigentlich niemanden, der diesen Fehler beseitigen kann?), aber daß es in fast jeder Chorszene einen solchen gab, war wirklich indiskutabel.

Das gleiche niedrige Niveau kann man die Leistung von Denyce GRAVES in der Titelrolle bescheinigen. Mir ist nicht klar, weswegen diese Sängerin diese Rolle an allen großen Häusern verkörpern darf. Die Textbehandlung ist nur katastrophal zu nennen, auch rhythmische Fehler häufen sich, und zeitweilig singt die Sängerin nicht einmal alle Töne. Darstellerisch lehnt sie sich zu sehr an Agnes Baltsa an, ohne dafür die nötige Persönlichkeit zu besitzen. Symptomatisch war, daß ihr im 2. Akt, wo auch sie statt Kastagnetten einen zerbrochenen Teller benutzt, dieser mit jedem Schlag weiter zerbröselt, bis sie am Schluß nur noch zwei kleine Scherbchen in Händen hält. Auch auf Franck FERRARI (Escamillo) hätte man getrost verzichten können. Von der Darstellung her viel zu plump, kann man dies auch bezüglich seiner gesanglichen Leistung feststellen. Die Stimme klang ohne jede Eleganz, aber auch ohne Engagement.

Man kann nur froh sein, daß es bei diesen Ausfällen blieb, denn abgesehen von dem persönlichkeitsarmen Thomas J. MAYER (Dancairo) gab es im weiteren Ensemble nur sehr gute bis ausgezeichnete Leistungen. Das begann bei dem sehr präsenten und stimmschönen Uwe PEPER als Remendado, und setzte sich fort zu Carmens Freundinnen, die dieser nicht nur gesanglich die Show stahlen: Esther LEE als sehr freche Frasquita mit frischem Sopran und echten Szenendiebqualitäten (sie klaute nicht nur den Beginn des 4. Aktes, sondern auch Orangen) sowie Anne-Marie SEAGER als etwas gesetztere Mercédès mit ausdrucksvollem Mezzo, die schwer damit beschäftigt war, Frasquita am Dummheitenmachen zu hindern.

Peter EDELMANN war als Moralès wieder eine Luxusbesetzung. Arutjun KOTCHINIAN ist sicherlich der beste Zuniga der Welt; ein junger, attraktiver, arroganter Offizier mit großem Schauspieltalent und noch größerer Baßstimme. Da fragt man sich schon auch angesichts des oben gesagten, so gern man ihm in dieser Rolle zusieht, warum er sich nicht mal als Escamillo versuchen darf? Michaela KAUNE (Micaëla) gelingt es immer wieder, aus dieser Rolle eine starke Frau zu machen, die genau weiß, was sie will, trotz aller Schüchternheit zu Beginn. Ihre warmtimbrierte Sopranstimme kann Emotionen vermitteln, auch wenn sie, wie an diesem Abend nicht in allerbester Verfassung angetreten sein dürfte, wie an einigen Stellen hörbar war. Daß sie trotzdem eine erstklassige Leistung bot, spricht für die Professionalität der sympathischen Sängerin.

Mario MALAGNINIs Don José kann man mittlerweile in eine Reihe mit den ganz Großen in dieser Rolle stellen, ohne daß er einen von diesen kopieren würde. Auch an stimmlich weniger guten Tagen ist er immer interessant, weil ihm jedes Mal wieder darstellerische Nuancen gelingen, die man bei anderen Sängern nicht zu sehen bekommt. An diesem Abend war die gesangliche Leistung der darstellerischen aber in jedem Punkt ebenbürtig. Die Höhe kam sicher, die Phrasierung zeigte deutlich, daß der Sänger weiß, was er singt. Eine Meisterleistung an Phrasierung, aber auch technischer Beherrschung war die Blumenarie, welche er nicht nur mit einem sauberen Spitzenton krönte, sondern auf dem anschließenden "Carmen, je t'aime" die Stimme mehrfach an- und abschwellen ließ. Im Finale weckte er Mitleid, welches einem die Tränen in die Augen trieb. MK