Die Inszenierung von Jürgen FLIMM ist geeignet, Langeweile in großem Umfang hervorzurufen. Man kann sich des Gefühls nicht entziehen, daß dem Regisseur nicht viel zu diesem Stück eingefallen ist. Die Personen werden merkwürdig beziehungslos geführt, die Aktionen beschränken sich vorrangig auf ein Herumklettern auf endlosen, an einer halbrunden drehbaren bis in den Bühnenhimmel ragenden Plexiglaskonstruktion hängenden Treppen (Einheitsbühnenbild: George TSYPIN). Neben der Monotonie, die dies verbreitet, sind Bewegungen auf den metallenen Stufen auch nicht geräuschlos möglich. Otello und Jago dürfen ihren Racheschwur beim Ersteigen einer Wendeltreppe singen, womit die dramatische Wirkung dieser Szene verpufft. Auch die Chorführung beschränkt sich auf peinliche Einheitsgesten.

Diskussionswürdig sind immerhin die Einfälle, daß Otello kein "Mohr", sondern ein Maure ist, in welchen er sich vor dem Mord an Desdemona mit tatkräftiger Unterstützung Jagos zurückverwandelt, oder die Zeichnung von Cassio als eiskalten Karrieristen mit extremem Hang zum weiblichem Geschlecht. Daß Jago sich zunächst immer dann auf den Steg vor dem Orchestergraben begibt, wenn er einen Blick auf seine dunkle Seele gestattet, erscheint logisch. Wenn dieses Konzept jedoch nicht durchgehalten wird und sich später auch Otello zusammen mit Jago dort tummelt, verkommt es zum billigen Regiegag.

Sehr ungünstig für einige der Sänger sind die weißen Uniformen, in die sie Doey LÜTHI gesteckt hat. Das mag bei großen schlanken Sängern noch annehmbar aussehen, bei nicht perfekten Figuren wirkt es hauptsächlich lächerlich. Der Hosenzweiteiler von Emilia läßt in einem Flower Power-Alptraum in Flieder am Farbsinn des Kostümbildners zweifeln.

Musikalisch war der Abend erfreulicher, wobei allerdings Otello und Desdemona sehr unter dem Mangel an Personenregie litten und daher darstellerisch blaß blieben, sie dabei noch mehr als er. Christian FRANZ sang einen Otello mit imponierenden Spitzentönen und bemühte sich auch um die lyrischen Stellen, welche jedoch weitaus weniger imponierend gerieten, da hier insbesondere im piano die Stimmqualität doch deutlich nachließ. Ein generelles Manko lag in der sehr "deutschen" Art, die Partie zu singen, da die Töne nicht aneinander gebunden wurden, sondern eher wie beim Wagnergesang üblich einzeln standen. Desdemona Emily MAGEE hatte das gleiche Problem. Sie sang ansonsten zwar die Partie ohne Schwierigkeiten, konnte jedoch nicht wirklich berühren. Das in dieser Rolle so notwendige Aufblühen der Stimme war nur selten zu vernehmen.

An diesem Abend hätte der ursprüngliche Plan, die Oper "Jago" zu nennen, einige Berechtigung gehabt. Lucio GALLOs Stimme ist nach dem Macbeth vor einem Jahr nochmals gewachsen. In dieser glänzenden stimmlichen Verfassung scheint alles möglich zu sein. Dieser Jago hat es auch nicht nötig, in Bühnengelächter auszubrechen nach seinem Triumph, sondern kann die ganze Bösartigkeit der Figur schon allein durch Änderung der Stimmfarbe ausdrücken. Hinzu kommt eine darstellerische Leistung der Sonderklasse, in welcher sich vordergründige Harmlosigkeit und unterschwellige Gefährlichkeit ideal mit lässig-eleganten Auftreten paaren. Zu Recht erhielt der Sänger den größten Applaus beider Abende.

Als eingesprungener Cassio war am 17. Cesare CATANI zu hören, der seine Sache gut machte und einen angenehmen lyrischen Tenor hören ließ. Übertroffen wurde er am 24. noch von Stephan RÜGAMER, der nicht nur mit schöntimbrierter, klangvoller Stimme, sondern auch auf echtes Bewegungstalent überzeugte. Katharina KAMMERLOHER wertete die Emilia mit schönem Mezzo und vor allem guten Spiel im Quartett auf. Alexander VINOGRADOV als ungewöhnlich junger Ludovico ließ einen ehrfurchtsgebietenden Baß hören. Andreas SCHMIDT (Roderigo) und Gerd WOLF (Montano) ergänzten in ihren kleineren Rollen erfreulich.

Das Gerücht, Daniel BARENBOIM könne keinen Verdi dirigieren, erwies sich am 17. als unrichtig. Am Pult der STAATSKAPELLE entfesselte er schon zu Beginn einen Sturm, ohne dabei die Sänger auch nur ein einziges Mal zu übertönen. Aber auch später, wenn zarte Klänge gefragt sind wie im Liebesduett, entfaltet sich der Qualitätsklang dieses Orchesters. Die Einzelheiten der Partitur werden vorbildlich herausgearbeitet, ohne daß sich jemals ein akademischer Klang einstellt. Am 24. dirigierte dann Philippe JORDAN einen schönen Verdi, wobei er an die Leistung von Barenboim nicht heranreichte. Weswegen er jedoch Buh-Rufe erhielt, ist nicht nachzuvollziehen. Wie immer nahe an der absoluten Perfektion war der STAATSOPERNCHOR (Leitung Eberhard FRIEDRICH), insbesondere in der Sturmszene und im Feuerchor trotz peinlichster Regie. MK