... hätte an diesem Abend wohl besser "Senta" geheißen, denn in Harry KUPFERs Inszenierung ist Senta die Hauptfigur, was sich auch in der Besetzung niederschlug. Ich bin kein Freund von inszenierten Ouvertüren oder des Prinzips "alles nur ein Traum", aber hier ist es einmal wirklich überzeugend. Kupfer macht schon während der Ouvertüre deutlich, daß Senta sich die Erscheinung des Holländers nur erträumt. Im zweiten Aufzug dann, wenn Senta Teil des Geschehens wird, vermischen sich für sie Realität und Phantasie. Ihr Sprung, der hier aus dem Fenster erfolgt, hat so auch gar nichts erlösendes, sondern ist letztendlich tragisch vergeblich, da eine Figur, die nur ihrer Einbildung entsprungen ist, natürlich in der Realität gar nicht erlöst werden kann. Das Bühnenbild von Hans SCHAVERNOCH läßt Senta auf einer Wendeltreppe vor einer Fensterfront träumen, von der sie sich später auch stürzen wird. Durch diese Fensterfront brechen dann Sentas Phantasien in ihr beengtes Leben ein. Diese Phantasien sind sehr detailliert, so ist beispielsweise Dalands Schiff eisverkrustet. Die Auftritte des Holländers erfolgen über einen leicht phallisch anmutenden Bugspriet, der durch die Fensterfront gefahren wird. Einzig die Dimensionen der Schiffe sind etwas merkwürdig geraten, was jedoch hinnehmbar ist, da es sich hier um Phantasiegebilde handelt.

Es ist allerdings fraglich, ob dieses Konzept ohne eine Sängerin wie Anne SCHWANEWILMS durchsetzbar wäre. Die agile Sängerin verläßt die Bühne nicht ein einziges Mal, nachdem der Vorhang sich geöffnet hat, und sie ist von der ersten Sekunde an präsent, wenn sie das Bild des Holländers geradezu zwanghaft umklammert. Das gesamte Geschehen ist von ihrem Gesicht abzulesen. Sie nennt zwar keine Riesenröhre ihr eigen, aber das stört nicht, denn den dramatischen Ausbrüchen ist sie vollauf gewachsen; was allerdings neben der darstellerischen Leistung am meisten fasziniert, sind die tragenden Pianissimi und Lyrismen, die sie im Übermaß verteilt.

Weshalb sich eine solche Senta ausgerechnet den Holländer von Wolfgang BRENDEL erträumen sollte, ist absolut nicht nachzuvollziehen. Da war nichts vorhanden von gequälter Seele eines seit Jahrhunderten Wandernden, weder in der Darstellung, die so gut wie nicht stattfand, noch in der Gesangsleistung, bei der einen häufig der Gedanke beschlich, daß Brendel gar nicht realisierte, was er eigentlich sang. Ein so langweiliges "Die Frist ist um" habe ich noch nie gehört. Später waren dann etliche matte und fahle Töne zu hören, die offenbar durch übertriebene Portamenti kaschiert werden sollten. Kein Wunder, daß Brendel deutlich weniger Applaus erhielt als seine Kollegen.

Bereits im ersten Aufzug war er von Daland (Robert HOLL) deklassiert worden. Holl fand für den gierigen Kaufmann den richtigen Ton, sang mit warmer Stimme, klang am Schluß des Duetts mit dem Holländer und bei seiner Arie sehr italienisch von der eleganten Stimmführung her. Zusätzlich spielte er auch noch ausgesprochen typgerecht.

Beiden Tenören kann man eine ausgezeichnete Leistung attestieren. Jorma SILVASTI als Erik schaffte es, nicht nur überaus wortdeutlich zu singen, sondern auch fast vollständig, ohne zu forcieren (die Ausnahme war ein (!) Ton). Hinzu verfügt er über ein sehr angenehmes Timbre. Darstellerisch ist insbesondere erwähnenswert, wie überzeugend er es im dritten Aufzug schaffte, den Holländer, den es ja lediglich in Sentas Phantasie gibt, nicht zu sehen. Die Kostümierung (Buki SHIFF), bei den anderen gelungen, ist in seinem Fall allerdings einfach scheußlich. Als Steuermann war Stephan RÜGAMER zu hören, dessen Stimme dringend nach den großen Mozart-Partien verlangt. In der "Così" am folgenden Abend hätte man ihn ausgesprochen gerne als Ferrando gehört. Als Mary sang Uta PRIEW mit eigentlich zu großer Stimme für diese Partie.

Würde mir doch nur ein Superlativ, welches ich noch nicht benutzt habe, für die Leistung des STAATSOPERNCHOR einfallen (Chorleitung: Eberhard FRIEDRICH), ich würde ihn gerne verwenden. Welch ein Klang können diese Stimme hervorbringen! Keine einzige Stimme, die herausfällt; und klingt einmal für eine Sekunde etwas nicht hundertprozentig, reguliert sich dieser Chor auch noch selbst, ohne jemals in die Gefahr zu kommen, aus dem Takt zu geraten.

Über allem thronte Daniel BARENBOIM, der die so kurz nach der Sommerpause bereits wieder voll konzentrierte STAATSKAPELLE mit nie nachlassender Energie leitete und einen elektrisierenden Klang schuf, der direkt ins Herz ging. Niemals gerieten die Sänger in die Gefahr, zugedeckt zu werden.

Hätte diese Vorstellung doch nur eine adäquaten Holländer gehabt, es wäre eine Sternstunde geworden... MK