"DON QUIJANA D' AXEL HEIL"

Diesmal war alles anders. Das letzte Mal erhielten wir noch eine Einladung vom Regisseur persönlich, diesmal kam sie von seiner Pressesprecherin (sic!). Anstelle der kuscheligen Zeisehallen gab es einen gigantomanischen Auflauf auf Kampnagel, anstatt des Zweipersonenstücks begnügte sich Regisseur Axel HEIL diesmal nicht mit einem Cast unter zwanzig Personen.

Aber: WOW!!! Der junge Regisseur beherrscht auch die große Form, kann Tableaus erstellen, ohne dabei die Personenführung zu vernachlässigen. Kein Chorist steht nur so herum, irgendwo ist immer Bewegung, ohne dabei in Hektik zu verfallen. Es gibt immer etwas zu entdecken, wenn man den Blick von den Hauptakteuren wendet. Szenisch verfällt Heil auf ebenso einfache wie überraschende Lösungen. Da werden aus Stützfeilern der ehemaligen Fabrikhalle Windmühlen, der Kampf des Don Quijote gegen den Spiegelritter findet als Kampf gegen Videoprojektionen statt.

Dabei ist das Stück ein wenig modernisiert worden, spielt nicht mehr in einem Gefängnis, sondern an einem Ort, an welchem sich der Bodensatz der Gesellschaft trifft: Obdachlose, Huren, Straßenkinder, Junkies. Das schadet der Botschaft des Stückes keinen Augenblick, sondern beweist nur, daß diese Botschaft des auch schon einige Jahrzehnte alten Musicals noch immer aktuell ist. Das Bühnenbild von Matthias ENGELMANN hat sich den Örtlichkeiten und dem Ort der Handlung perfekt angepaßt, ebenso charakterisieren die Kostüme von Diana DERENBACH die Figuren.

Die im Musical so wichtigen Tanzszenen wurden von Sebastian EILERS choreographiert. Auch hier gab es originelle Lösungen (insbesondere beim Einfangen der „Reittiere“). Und die Szene mit den „Töchter von Don Diego de la Vega“ (statt den Zigeunern) verfehlte mit der zusätzlichen Musik (auch Eilers und Rincke BLEICKEN) ob des aufreizenden Tanzes seine Wirkung auf den männlichen Teil des Publikums nicht.

In der Titelrolle gab es mit Nikolaus MEER den einzigen Wermutstropfen. Er sang seine nicht anspruchslose Partie ohne Tadel, aber es fehlte einfach das Unverwechselbare, das wirklich Überzeugende. Es wurde für uns in keiner Sekunde klar, warum dieser Mann seine Umgebung so faszinieren kann, daß sie seinen Gedanken und Ideen folgen.

Ein knuffiger Sancho mit Teddybär-Charme war Enrico DE PIERI, der eigentlich nur gucken mußte, und schon konnte man die Stimmung der ganzen Szene an seinem Gesicht erkennen. Sanchos müssen nicht unbedingt singen können, dieser allerdings konnte es. Insbesondere beim Überbringen der Sendbotschaft ließen plötzlich vorher nicht geahnte Töne aufhorchen.

Nicole DELLABONA hatte an diesem Abend mit Aldonzas „Mir ist jeder recht“ einige Probleme, offenbar liegt der Song für sie nicht sehr bequem. Doch im Laufe der Vorstellung hatte sie die Schwierigkeiten im Griff und war insbesondere in ihrem letzten Solo und im Finale mit ihrer Stimme mit dem dunklen Timbre überzeugend. Als Figur konnte sie von Anfang an fesseln.

In der Rolle des Padre erregte Andreas PREUß Aufmerksamkeit. Seine Solonummer war ein Höhepunkt des Abends, so wunderschön phrasiert war sie. Daß er auch noch ein ausgesprochen komisches Talent hat, erfreute nur noch mehr. Nichte Antonia wurde von Hannah SCHLOTT souverän verkörpert, so daß man ihr das etwas schlichte Gemüt abnahm. Auch Aviva PINIANE (Haushälterin) hielt das allgemein hohe Niveau.

Der Herzog/Dr. Carrasco (Christian D. TRABERT) überzeugte mit angemessener Arroganz und einer bemerkenswert großen darstellerischen Präsenz, während die Meriten von Henrik GIESE als Wirt eher im Gesanglichen lagen. Seine Wirtin Conny BRAUN war als Type genau richtig.

Als Barbier war Michael SVENSSON von einem (O-Ton Programmheft) „Anhängsel“ begleitet: William DANNE. Beide boten ein herrlich albernes Klischee vom exaltierten Friseur nebst noch exaltierterem Lebensabschnittsgefährten. Auch Rodja TRÖSCHER (Pedro) und Martin SCHULZ (Anselmo) sind stimmstark und mit viel Persönlichkeit dabei.

Die ausgezeichnete Besetzung der weiteren Rollen wurde angeführt von Nono STROTHOFF und Julian SYLVA als sehr präsente, virtuos tanzende und biersaufende Reittiere. Man mag die Darsteller nicht als Chor bezeichnen, denn sie haben es mehr als verdient, namentlich (in alphabetischer Reihenfolge) genannt zu werden: Nina BAUKUS, Matthias BEURER, Katinka ECKERMANN, Michael ERNST, Corina GERLACH, Alexander IMHOF, Manuel LUNA, Nicole MATTER, Anke MERZ, Saara MUSSBACH, Matti PAKKANEN, Jens PLEWINSKI, Verena RAAB, Rocco SCHILL, Tim SCHULZ, Harald SIMON, Sophia TERHOEVEN, Nadine VASTA, Kim TOMASZEWSKI, Inès ZAHMOUL und Elena ZVIRBULIS. Lauter Leute, die zu individuellen Spiel genauso fähig sind wie zum Agieren in der Gruppe (und singen können sie auch alle...)! Wenn dies tatsächlich der Nachwuchs im Musicalbereich ist, braucht um die zukünftige Qualität desselben niemanden bange zu sein.

Das STUDIOORCHESTER DER HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND THEATER HAMBURG unter der Leitung von Mathias WEIBRICH spielte mit Verve und Power, aber fand auch Klänge für die leisen Töne. Die Koordination zwischen Orchester und Bühne fand hauptsächlich über Bildschirme statt, da das Orchester hinter der Spielfläche postiert war, was jedoch ohne Probleme klappte.

Axel Heil indes hat dem Ganzen seinen Stempel aufgesetzt.

Liebe Intendanten, es wäre schade, wenn ein solches Talent irgendwo als Assistent versauert. Geben Sie ihm Verdi, Rossini, Donizetti... und dem Publikum noch mehr solche Abende! AHS & MK