"TOSCA" - 25. März 2012

Das Theater Lübeck bietet seinem Publikum in dieser Spielzeit einen Puccini-Zyklus an. Neben "Turandot" und "Madame Butterfly" wurde hierfür auch die "Tosca"-Produktion wiederaufgenommen.

Ausrine STUNDYTE ist auf ihre eigene Art eine grandiose Tosca. Mit ihrem Spiel fügt sich sie ganz natürlich in die Produktion. Der Anachronismus, die Diskrepanzen zwischen Diva und Umgebung vorangegangener Aufführungen verschwanden so. Sie ist eine moderne Frau mit ihren eigenen Vorstellungen vom Leben, mit all ihren Launen und Ausbrüchen.

Angenehm ist, daß die Sängerin sich nicht auf reinen Schöngesang konzentriert. Es gibt sie auch, diese einfach schönen Momente, doch dazwischen hört man viel von Toscas Leidenschaft, Eifersucht und Wut. "Vissi d'arte" vernahm man als anklagenden Vorwurf an jenen Gott, dessen Regeln die Diva doch stets beachtet, von dem sie aber trotzdem so hart geprüft wird. Dargebracht wurde all dies von einer gut ausgebildeten und doch höchst angenehm und jung klingenden Stimme. Man hörte jemanden, dem es gegeben ist, sich hundertprozentig auf den jeweiligen Partner einzustellen, ohne daß die eigene Partie für eine Sekunde vernachlässigt wurde.

Der zweite Akt geriet so zu einem Zwei-Personen-Stück mit Randfiguren, denn Gerard QUINN ist hier ein kongenialer Partner. Neben seiner eigenen, stets passenden Rolleninterpretation bot er eine Projektsfläche für seine Bühnenpartnerin. Man fiel vom Plauderton in den wütenden Wortwechsel, kehrte zurück zu einer zivilisierten Kommunikation (der "Quando"-Dialog war in seiner fast absurden Leichtigkeit der beste, den ich je auf einer Bühne gehört habe) und steigerte sich zum Ende hin zum unvermeidlichen und hier befreienden Mord.

Gesanglich bietet Scarpia einem Bariton natürlich stets die Möglichkeit, sein Können ausreichend zu präsentieren. Gerard Quinn ließ dies nicht ungenutzt. Überraschend, weil eigentlich nicht vorstellbar, war die noch weiter ausgefeilte Nutzung der Stimme als Charakterisierungsinstrument. Jede Stimmungslage, jede noch so kleine Nuance konnte man heraushören, ohne die Worte verstehen zu müssen, die gesungen wurden. Möglich ist dies nur, wenn man eine Stimme sein eigen nennt, die verläßlich und gut ausgebildet ist. Wenn sie dann noch so ausgesprochen prächtig wie in diesem Fall klingt, wird der Abend zum reinen Vergnügen.

Auf einen zumindest stimmlich guten Cavaradossi wartete man indes vergebens. Weshalb man auf die Idee verfallen ist, diese Partie wieder mit Mario DIAZ zu besetzen, bleibt wohl ein Rätsel. Seine Stimme scheint nur noch in Teilen nutzbar. Eine Höhe ist schlicht nicht vorhanden. Es wurde viel gegurgelt, und man hört übermäßig viele gepreßte Töne. Hier stellt sich dringend die Frage, ob nicht manchmal einen Sänger vor sich selbst schützen sollte. Aus Tenor-Gründen war dieser Abend für mich dann auch nur zweiaktig.

Wie bereits zehn Tage zuvor hatte man seine helle Freude an der Baß-Fraktion. Johan Hyunbong CHOI (Angelotti) und Yong-Ho CHOI (Mesner) waren eine echte Offenbarung in Gesang und Rolleninterpretation. Enrico Adrian RADU als Spoletta und Ivan LOVRIC-CAPARIN als Sciarrone ergänzten solide.

CHOR und EXTRACHOR (Leitung: Joseph FEIGL) brachten ein ausgesprochen professionell gesungenes TeDeum zu Gehör. Die Kinder des Theaterkinderchors VOCALINO (Leitung: Gudrun SCHRÖDER) wirkten bei ihrem kurzen Auftritt springlebendig und klangen sehr angenehm.

Überrascht wurde man vom Dirigat des Abends. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER klang so italienisch schwelgerisch, streckenweise sogar ausgesprochen lyrisch, das man kaum glauben mochte, daß der im Besetzungszettel vermerkte Roman BROGLI-SACHER am Pult stand. Leider kam es ein-, zweimal wieder zu den bereits in der "Traviata" aufgefallenen Irritationen zwischen Graben und Bühne. Es steht zu hoffen, daß dies nicht zu einem grundsätzlichen Problem heranwächst.

Die Produktion steht in gleicher Besetzung noch einmal für Ende Mai auf dem Programm. Die beiden ersten Akte sind uneingeschränkt empfehlenswert. AHS