"JEWGENI ONEGIN" - 12. Mai 2006

Premierenfieber erfaßte uns, als wir am Abend nach allzu langer Zeit die Möglichkeit erhielten, Pjotr Iljitsch Tschaikowski romantisches Werk sogar in der Originalsprache nach dem gleichnamigen Roman von Alexander Sergejewitsch Puschkin - Text von Konstantin Stepanowitsch Schilowski - szenisch aufgeführt (ein Wunder bei dem Streik der Bühnenarbeiter in München) zu erleben. Den deutschen Text hat der leider so früh verstorbene Alexander von Schlippe wörtlich übersetzt, den wir für die deutsche Sprache merkwürdig auf dem mitlaufenden Spruchband während der Aufführung mitlesen konnten.

Musikalisch und hinsichtlich der Stimmenqualität erfüllte der Abend voll die Erwartungen, zumal hier die Zukunft der Opernwelt auf der Bühne stand. Denn die Aufführung war eine Koproduktion der Bayerischen Theaterakademie August Everding, Studiengang Gesang/Musiktheater der Hochschule für Musik und Theater mit dem Opernhaus Halle.

Unter der sehr guten tempigerechten Stabführung von Ulrich NICOLAI, der das SYMPHONIEORCHESTER DER HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND THEATER MÜNCHEN nebst Mitgliedern des ORCHESTER DES RICHARD-STRAUSS-KONSERVATORIUMS MÜNCHEN dirigierte, entsprach die Rollenbesetzung voll den Gedanken des Komponisten, so in den Damenstudien Sonja LEUTWYLER als Larina, Wiebke DAMBOLDT als Olga, Alma WOLF als Filipjewna sowie dazu Sebastian CAMPIONE als Saretzki und auch als Hauptmann.

Auf die Sänger der Hauptpartien eingehend zeigte Antonio YANG als Onegin eine ungemein reife und ausdrucksstarke Leistung, während Ida WALLÉN als Tatjana, vor allem in der Briefarie ihren hohen lyrischen Sopran voll einsatzfähig vorstellte. Für den erkrankten Thomas Helm setzte man Ansgar MATTHES als Lenski ein, der dadurch zwar den Abend retten konnte, aber sich noch entscheiden muß, in welchem Tenorfach er zu Hause sein will. Marcel CHEONG als Fürst Gremin sang seine Arie ("Ein jeder kennt die Lieb' auf Erden") gut einstudiert, während Markus DURST als Monsieur Triquet mit einem ausgeflippten Outfit seinen Part hervorragend interpretierte, er schoß sozusagen den Vogel des Abends ab.

Ein sehr gut einstudierter CHOR (Leitung Philipp AMELUNG) untermalte die Aufführung.

Leider wurde - wie fast immer - der Abend getrübt durch die merkwürdigen Regieeinfälle von Florentine KLEPPER. Den ländlichen Teil des Werks auf einem russischen Dorf spielen zu lassen (ob es nun eine größere Datscha sein sollte, war nicht zu erkennen, jedenfalls war es kein Adelspalast) und den Schluß der Oper auf ein Kreuzfahrschiff der Newa zu verlegen, wo sich die russische Mafia tummelte, waren wohl keine schlechten Regiegedanken (übrigens ausgezeichnet erdachte Bühnenbilder von Martina SEGNA), aber gleich zu Anfang den Landadel selbst Enten mit blutverschmierten Kleidern schlachten und völlig inhaltswidrig Lenski sich selbst erschießen zu lassen, ist äußerst merkwürdig.

Und dazu noch im letzten Teil die Polonaise in die mittleren Reihen des Parketts zu verlegen und durch lautstarkes Anklopfen an der Eingangstüre ankündigen zu lassen (Nikolaus feiert man am 6.Dezember - und solche Sachen stören dazu noch die musikalische Darbietung) dürfte wohl nicht einem librettokundigen Operbesucher entsprechen. Daneben mußte man die nicht zum Werk passenden sinnlosen Handbewegungen aller Beteiligten (gerade auch bei der Polonaise) und stumme Szenenbilder während der gesanglichen Darbietungen über sich ergehen lassen (Choreographie Katja WACHTER). Wie erarbeitet man sich eigentlich solche Regieeinfälle?

Bei offenbar "Onegin"-Unkundigen war zum Schluß Begeisterung durch starken Applaus zu vernehmen, den lediglich nur die Sänger verdient haben. Irene Stenzel