"Das Wundertheater"/"Ein Landarzt"/"Das Ende der Welt"

Mitte der sechziger Jahre stellte Hans Werner Henze seine frühe Oper "Das Wundertheater" und Bühnenfassungen seiner Rundfunkopern "Ein Landarzt" und "Das Ende der Welt" zu einem Triptychon zusammen, welches 1965 in Frankfurt uraufgeführt wurde. So richtig durchsetzen konnte sich das Gespann aber nie, und so war diese Produktion der Bayerischen Theaterakademie und der Hochschule für Musik und Theater die Münchner Erstaufführung. Und damit nicht nur ein weiteres Geburtstagsgeschenk an den achtzigjährigen Komponisten, sondern auch der Einstand des neuen Akademiepräsidenten Klaus Zehelein.

Aus Stuttgart mitgebracht hatte der dafür den Regisseur Christof NEL, der die drei Stücke quasi als ein Stück im Einheitsbühnenbild in pausenlosen gut hundert Minuten präsentierte. Bei Nel treffen sich alle Protagonisten in einem Foyer, das mit seiner Ähnlichkeit zu den entsprechenden Räumlichkeiten beim Bayerischen Rundfunk (Bühne und Kostüme: Barbara SCHERN und Heiko VOSS) wohl den Bezug zu den Funkopern schaffen sollte oder eine Hommage an das MÜNCHNER RUNDFUNKORCHESTER war, das die Aufführung musikalisch bestritt. Große Fenster, dunkle Holzvertäfelung, Sessel aus den fünfziger Jahren und eine Garderobe sind zwar nicht das offensichtliche Ambiente für wundersame Geschichten, aber wie will man Cervantes, Kafka und Hildesheimer auch angemessen an einem Abend bebildern? Nel verzichtete also auf allzu Mystisches, baute lieber auf seine jungen Darsteller und deren Darstellungskünste. Zu Recht.

"Das Wundertheater" nach Cervantes erzählt eine Geschichte, wie die von des Kaisers neuen Kleidern. Der Theatermacher einer Wanderbühne behauptet bei seiner Aufführung, daß nur diejenigen seine Wunder sehen können, die christlicher Herkunft und ehelicher Geburt seien. Es passiert das all bekannte. Alle Zuschauer beteuern, die Wunder zu sehen, die gar nicht da sind. Erst ein fremder Quartiermacher, der von all dem nichts weiß, entlarvt das Geschehen, und wird von den aufgebrachten Bürgern, die ihren Irrtum nicht eingestehen können, getötet. Wenn auch ein sehr frühes Werk Henzes, so ist es doch bereits ein typisches Werk. Das märchenhafte, das ihn bis heute interessiert, ist vorhanden, und das Vorstellen von Einzelgängern, die allein gegen die Masse stehen.

So auch bei Kafkas "Landarzt", wo, wie so oft bei Kafka, nichts so ist, wie es sein sollte, und man zum Spielball des Unbegreiflichen wird. Ein Landarzt wird zu einem Patienten gerufen, kann aber nicht hin, da seine Pferde tot sind. Doch plötzlich gibt es ein herrliches Gespann, welches ihn in einem Augenzwinkern ans Ziel bringt. Der Kranke dort ist aber nicht krank, erst bei einer zweiten Untersuchung stellt der Arzt eine große todbringende Wunde fest. Er kann nicht helfen. Die Familie sperrt wütend den nackten Arzt zum Sterbenden. Die Flucht durchs Fenster in die Kälte scheint zu gelingen, aber der Arzt kommt mit seinem Gespann diesmal nicht vom Fleck.

Im "Ende der Welt" nach Wolfgang Hildesheimer wird der Protagonist Fallersleben zu einem Treffen auf einer künstlich aufgeschütteten Insel vor Venedig eingeladen. Er berichtet als einzig Überlebender, denn während des Treffens versinkt die Insel, was die illuster skurrilen anderen Gäste aber nicht wahrnehmen wollen. Sie ertrinken.

Nel gelingt es wunderbar, die drei Geschichten zusammen zu binden, indem er, während eine noch ausklingt, die nächste bereits beginnen läßt. So entstehen fließende Ränder, die Zuschauer werden mitgenommen durch die merkwürdigen Welten des Herrn Henze. Die Musik, besonders der beiden Funkopern, eindrucksvoll zum Leben erweckt von Ulf SCHIRMER und seinem Orchester, spiegelt all die Phantastik der Geschichten wider, erschafft die Bilder, die ursprünglich nicht vorgesehen waren. Jeder der Darsteller muß dabei mehrere Rollen übernehmen, mal kleinere mal größere. So herrscht ein ständiges Treiben auf der Bühne, manchmal fast zuviel angesichts der ausdrucksstarken Musik. Aus dem sehr engagierten Ensemble seien Tobias HAAKS, Sebastian SCHMID und Vera SEMIENIUK mit ihren vielseitigen Leistungen erwähnt.

Solche ausgefallenen Projekte, mit einer Mischung arrivierter Theaterprofis und engagierter Jungdarsteller werden sicher auch in Zukunft ein spannender Punkt in der Münchner Musiktheaterlandschaft werden. KS