"LA CAMBIALE DI MATRIMONIO" - 1. Dezember 2002

Es gibt in Paris fünf Theater, die Opern und Ballett spielen: die beiden Häuser der Nationaloper, Bastille und Garnier, die Opéra comique, das Châtelet und das Théâtre des Champs Elysées. Was selbst "Eingeborene" nicht kennen, ist das sechste Opernhaus, das in der Satellitenstadt Massy liegt, 20 km südlich vom Pariser Stadtzentrum. Die sehr rührige Opéra de Massy spielt seit über zehn Jahren, mitten unter Betonklötzen Theater, Ballett, Konzert und Oper. Die heurige Saison bietet nicht weniger als sechs Opern, davon vier in Eigenproduktion mit dem eigenen ORCHESTRE DE MASSY, bisweilen in Koproduktion, diesmal mit Dijon.

Rossinis "Cambiale di Matrimonio", natürlich nicht mit "Barbiere" oder "Cenerentola" zu vergleichen, ist jedoch einer der zahlreichen, sehr gelungenen Einakter, die Rossini zwischen 1810 und 1812 für verschiedene Theater Venedigs schrieb ("Scala di seta" und "Signor Bruschino" sind am bekanntesten). Er war noch nicht dreißig. Man hört, vor allem in den lyrischen Stellen, noch den starken Einfluß Mozarts.

Die einigermaßen an den Haaren herbeigezogene Geschichte - die zu allem Überfluß in England spielt - von dem pleite gegangenen Sir Tobias, der seine hübsche Tochter Fanny an den reichen Kanadier Slook verkuppeln will, um seine Schulden zu zahlen, und dann doch von der Güte Slooks überrumpelt wird, ist natürlich ein alter Hut und hat unzählige Varianten in der komischen Oper, im Vaudeville und im Boulevardtheater gefunden. Das Team der Produktion hat sich eher vom letzteren inspirieren lassen und die Handlung um 1900 zwischen Feydeau und Guitry angesiedelt. Die Rezitative wurden klugerweise völlig gestrichen und durch französische Dialoge ersetzt. "Hier wird französisch gesprochen und italienisch gesungen!" proklamiert Tobias in einer der ersten Szenen.

Die einheitliche Szenerie ist passend und einfach (Bühnenbild, Kostüme und Beleuchtung Partice GOURON): ein etwas verwahrlostes Büro mit einer gläsernen Galerie dahinter, mit Blechgarderoben und museumsreifer Underwood Schreibmaschine auf einem übergehenden Schreibtisch. Vincent VITTOZ führt die durchwegs junge Sängerschar mit Genuss durch das chaotische Geschehen.

Unter diesen sticht Isabelle PHILIPPE als Fanny hervor. Sie hat eine volle, gut ausgebildete und blendend geführte Koloratur-Stimme, ist hübsch und besitzt ein ausgesprochenes Spieltalent. Es wird Zeit, diese sympathische Sängerin auf größeren Bühnen zu hören. Der kanadische Holzfäller (so ist er jedenfalls ausstaffiert) Slook war Christophe LACASSAGNE, und er spielte und sang mit gut tragendem Baß die Rolle bestens. Fannys Liebhaber Eduardo war bei Sébastien LAGRAVE gut aufgehoben, eine typische Tenorino-Stimme, der die etwas dämliche Rolle wie Woody Allen spielte.

Den Vater Tobias gab Jacques CALATAYUD etwas polternd und nicht sonderlich diskret. Aber er erfüllte die Rolle des genarrten Vaters rollendeckend. Anne BARBIER als Clarina, spielte die Sekretärin des Ladens passend als Vamp. Eric DEMARTEAU als Faktotum Norton hat einen etwas schrillen Baß, was aber hier nicht sonderlich stört.

Der rührige Direktor des Orchestre de Massy, Dominique ROUITS führte seine Truppe durch die Accellerandi, vernachlässigte aber nicht die mozartisch-lyrischen Passgen der Partitur. Großer Applaus des sonntägigen Publikums, unter dem - wie immer - viel Jugend anwesend war. wig.