"DIE FRAU OHNE SCHATTEN" - 12. Dezember 2002

"Die Frau ohne Schatten" ist sicher das schwierigste Werk von Richard Strauss, schon wegen des besonders labyrinthischen Textbuchs Hofmannsthals. Die gewollte Parallele "Nozze di Figaro" - "Zauberflöte" und "Rosenkavalier" - "Frau ohne Schatten" ist durch die symbolistische Handlung und Sprache Hofmannsthals dem durchschnittlichen Hörer schon schwer zugänglich. Die Sache wird besonders kompliziert, wenn der Regisseur/Bühnenbildner sich einbildet, seinen Kren dazu reiben zu müssen.

Dies ist in der neuen Pariser Inszenierung durch Robert (Bob) WILSON patent. In seiner üblichen Art, d.h. so gut wie leere Bühne mit einfärbigen bläulichen oder gelblichen Hintergründen, einige symbolische Versatzstücke und scharfe Farben, sowie nicht offensichtlichen Transpositionen, ist das Werk dem Neuling praktisch verschlossen. Die größte Schwierigkeit ist wohl, daß Wilson - der ja immer sein Bühnenbild und seine Beleuchtung selbst macht - einige wesentliche Punkte entweder verschleiert oder völlig verdrängt. Die Farbentypisierung der Kostüme von Modele BICKEL setzt die symbolistische Sicht fort: die Überirdischen, Kaiserin und Kaiser, sowie der Geisterbote sind in schwarz oder stahlgrau, die Amme in einem schwarzweißen Mantel, Barak ist dunkelblau gekleidet, die Färberin in einem mohnroten großen Abendkleid, die drei Brüder in geflickten, gelblichen Jacken. Die Kaiserin trägt langes platin-weißes Haar, die Amme hat eine helmartige weiße Frisur. Das gibt sehr ästhetisch ansprechende Bilder, nur etwas kühl… Das für eine der dichtesten, intensivsten Partituren der Operngeschichte!

Da die Oper "Die Frau ohne Schatten" heißt und mehrmals "Die Frau wirft keinen Schatten, der Kaiser muß versteinern!" gerufen wird, könnte man glauben, daß der Lichtfanatiker Bob Wilson mit der ausgeklügelten Beleuchtungstechnik der Bastille-Oper diese Charakteristik der Kaiserin sozusagen "als Aufhänger" verwendet würde. Dem ist jedoch nicht so. Die Kaiserin wirft ständig einen Schatten, zumal es meistens stockfinster auf der Bühne ist, und nur die einzelnen Personen ausgeleuchtet sind.

Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die Erscheinung des Jünglings im 2. Akt. Kurz vorher singt der "Chor der Ungeborenen" hinter der Szene und wird von einigen Kindern gemimt, von denen ein kleines Mädchen mohnrot wie die Färberin und ein kleiner Junge auch rot orientalisch gekleidet sind. Diese beiden erscheinen auf einem Podest aus der Versenkung und mimen die "Verführung". Wenn immer der Falkenruf ertönt, erscheint ein Tänzer in feuerrotem Trikot mit einer 3-m-langen Stange horizontal über seinen Schultern. Eine Cellistin erscheint aus der Versenkung, um das Cellosolo für den Auftritt des jagenden Kaisers vor dem Falkenhaus zu begleiten. In der Gerichtsszene wird eine monumentale Stiege von rechts herein geschoben und dadurch "belebt".

Die Hütte Baraks ist ein transparentes Haus, vor dem ein Gatter diagonal die Bühne teilt. Wenn immer eine Person zur Hütte geht, versinkt ein Stück der Trennung. Diese aufwendige Spielerei ist eine einigermaßen komplizierte Art, die psychologische Trennung zwischen Barak und seiner Frau zu charakterisieren. Diese ganze vom Nô-Theater beeinflußte ästhetisierende Symbolik, gekuppelt mit einer steifen, feierlichen Gestik, wirkt, trotz (oder wegen) der spärlichen Beleuchtung und leeren Bühne, mit der Zeit etwas ermüdend. Solche Statik ist bei der Erscheinung des versteinerten Kaisers im 3. Akt ("Wenn das Herz aus Kristall zerbricht.") vor einem gefrorenen Wasserfall allerdings sehr passend. Beim Schlußquartett glaubt man sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt: Auf der pechschwarzen Bühne singen Barak und die Solisten, aufgefädelt in einer Riege, an der Rampe "Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt hat!". Ein etwas gedämpfter Jubel für den Triumph der Liebe!

So kühl die Szene war, so intensiv waren die Leistungen im Orchestergraben und der Sänger. Ulf SCHIRMER dirigierte nicht nur mit größter Präzision, sondern auch mit ungewöhnlicher Durchsichtigkeit die ungeheuer dichte Partitur, ohne jemals die Sänger zuzudecken. An der Herausarbeitung, ja Ziselierung der verschiedenen Stimmen kann man die intensive Probenarbeit hören. Das PARISER OPERNORCHESTER war auch sichtlich sehr bei der Sache.

In der heute praktisch einzigen Besetzung stach vor allem der Barak von Jean-Philippe LAFONT hervor. Seine ungewöhnlich gutes Deutsch - für einen Franzosen (!) - und seine perfekte Diktion erlaubten ihm die Menschlichkeit der Rolle herauszustreichen. Nicht nur die Kaiserin, auch das Publikum litt mit diesem Gerechten. "Mir anvertraut" sang er mit einer Wärme und Intensität, die zu Herzen ging. Eine gewisse Enttäuschung war seine Frau, die Färberin, von Luana DE VOL zwar ausgezeichnet gespielt, aber die amerikanische Sängerin ist der mörderischen Rolle derzeit stimmlich nicht gewachsen. Ein sehr ausgeprägtes Tremolo in den höheren Registern zwingt sie bisweilen zum Schreien.

Als Amme war Jane HENSCHEL absolut perfekt, die Zauberin in Person, stimmlich völlig überzeugend und darstellerisch ergreifend, ersteigt sie zu Beginn der Oper wie Erda aus einer Grube. Als Kaiser konnte Thomas MOSER wieder voll überzeugen, eine Rolle, die für ihn geschrieben scheint. Susan ANTHONY in der Titelrolle verkörperte die Menschlichkeit, die die Kaiserin sucht. "Ich trinke nicht!" war erschütternd.

Bjarni Thor KRISTINSSON war ein wenig furchterregender Geisterbote. Jochen SCHMECKENBECHER, Scott WILDE und Doug JONES sangen die drei Brüder mit schönen Stimmen und guter Diktion., die wie Figuren der Comedia del Arte behandelt wurden (man denkt an Ping, Pang und Pong in "Turandot"). Karen WIERZBA (Stimme des Falken und Hüter der Schwelle des Tempels) und Johannes CHUM (Erscheinung des nicht erscheinenden Jünglings) passend. Kristinsson, Schmeckenbecher und Jones in schwarzen Kutten sangen die Wächter vom 1. Balkon sehr sprachdeutlich. Peter BURIAN hatte den CHOR DER PARISER OPER bestens einstudiert, denn man verstand jedes Wort.

Das Publikum war sichtlich etwas befremdet von den Geschehnissen auf der Bühne und spendete - trotz der meist fabelhaften musikalischen Leistungen - nur kurz Beifall. wig.