"GIULIO CESARE" - 16. September 2002

"Giulio Cesare" ist die erste Oper der großen "mittleren" Trilogie, mit "Tamerlano" und "Rodelinda", die alle drei 1724/25 für das Londoner Haymarket-Theater geschrieben wurden. "Giulio Cesare" ist sehr lang (mit Pause über 4 Stunden, diesmal aber fast 5 Stunden - siehe unten), aber, im Gegensatz zu den "Geschwistern", weniger trocken und musikalisch ansprechender. Nicht nur Holzbläser, sondern auch Hörner werden hier eingesetzt.

Das ursprüngliche Libretto des Dichters Bussani wurde bereits 1677 für Antonio Sartoris "Cesare in Egitto" (mit über 60 Nummern!) geschrieben. Händels Librettist Nicola Francesco Haym hat schon heftigst gekürzt, aber es sind immer noch 40 Nummern, essentiell da capo-Arien. Aber es gibt einige Duette und sogar richtige Ensembles. Zumal die Intrige (Cäsars Sieg bei Pharsala, die Ermordung des Pompeius und die folgende Liebschaft mit Cleopatra) höchst kompliziert ist und Stoff für mehrere Opern abgeben könnte. Die Rollen sind hier ausgesprochen brillant, mit halbrecherischen Koloraturen und oft sehr exponiert gesetzt. Wie in "Tamerlano" und "Rodelinda", liegt die Neuigkeit in der weiten Verwendung des recitativo accompagnato, das mehrfach zu Ariosi ausgebaut wird. Das erste große Arioso Cäsars, "Alma di gran Pompeo", ist in dieser Richtung ein Meisterwerk und läßt bereits Glucks "Alceste" voraus ahnen.

Die Wiederaufnahme der Produktion von 1987 als Saisoneröffnung des Palais Garnier war von viel Prominenz besucht, u. a. dem neuen Minister für Kultur, Jean Jacques Aillagon, in der Mitte des erhöhten Parterres. Die Vorstellung begann ganz normal, aber nach etwa einer halben Stunde hörte man im Hintergrund in den Piano-Stellen eine Sopranistin Koloraturen singen, hörbar auch Händel. Zuerst dachten viele, daß die Cleopatra, die ihr Haus-Debüt gab, ihre Koloraturen übte. Aber dann hörte man auch ein Orchester und einen Countertenor. Die Musik wurde lauter, bis ein Zuschauer am Ende einer Szene rief, daß man doch etwas unternehmen solle.

Dirigent Minkowski ging ab und kam nach ein paar Minuten zurück und ersuchte das Publikum um absolute Stille um die Quelle zu lokalisieren. Die Musik kam hörbar aus dem Zuschauerraum, rechts aus den Galerie-Logen. Minkowski ging nochmals ab und wiederholte das Spiel. Der Zwischenrufer schlug schließlich vor, daß man doch ein Pause einlegen solle, um das Problem zu lösen. Das geschah auch. Nach 20 Minuten Pause wurde das Publikum wieder ins Haus geläutet. Mit kaum verhaltener Wut kam Direktor Hugues Gall persönlich vor den Vorhang und teilte mit, daß es nicht das "Phantom der Oper" war, sondern ein übelwollender Spaßvogel, gegen den er bereits Anzeige erstattet habe. Die Vorstellung ging dann ohne weitere Probleme zu Ende, nur verließ man das Haus erst knapp vor Mitternacht. Anscheinend hatte der Störenfried eine andere Fassung des "Giulio Cesare" in einer Loge abspielen lassen. Die Beweggründe dieses Streichs wissen wir - noch - nicht. Ein Kabale gegen Minkowski? Oder Gall?

Nicholas HYTNER hatte sich 1987 eine Inszenierung ausgedacht, um die etwas langatmige, schwerfällige Handlung und pompöse Atmosphäre etwas aufzulockern. Der englische Regisseur hatte es sich natürlich nicht verbeißen können, eine Parallele zwischen Cäsars Feldzug nach Ägypten mit dem Napoleons über 1800 Jahre später zu ziehen (in beiden Fällen war es auch das Ende der respektiven Demokratien!). Dieser ironische Seitenhieb schlägt sich in den napoleonischen Bühnenbildern und Kostümen von David FIELDING nieder: Mumien; eine riesige barocke Sphinx; Schlangen und Krokodile im Zoo (denen Tolemeo Fleischstücke zuwirft, auf die sich die Biester stürzen); die Römer in beigen Kniehosen und Zweispitzen spielen bisweilen Karten; die Ägypter als Beduinen mit Kefieh und wallenden weißen Gewändern. Bisweilen artet das aber in Kitsch aus, wie die schrecklichen, mit Leuchtkäfern bestückten Kostüme des Geigers, der in der Szene der Liebesarie Cäsars die Solovioline spielt. Cleopatra wird von ihrem Bruder nicht in ein Verlies eingesperrt, sondern in einem Käfig-Wägelchen herein gerollt, das kürzlich noch beim Hauptpostamt für den Pakettransport gedient hatte. Die Spielzeug-Pyramiden und -Paläste werden am Ende in große, "SPQR" markierte, Kisten verpackt. Ähnlich wie es später Napoleon tat, der ja auch Ägypten plünderte, wie der Obelisk auf der Place der la Concorde oder die gigantische - und sehr sehenswerte - ägyptische Sammlung im Louvre bezeugen.

Musikalisch war die Aufführung überragend. Wenn Mark MINKOWSKI sich nicht in die Romantik verirrt, ist er in seinem Element, umgeben von seinen MUSICIENS DU LOUVRE-GRENOBLE, welche völlig auf den Dirigenten eingespielt sind und erstklassig die barocke Atmosphäre mit Subtilität und Brillanz boten.

Als Cäsar debütierte der amerikanische Countertenor David DANIELS. Er singt nicht nur brillant die mörderische Rolle (bereits die Auftrittsarie "Empio, diro, tu sei" ist hinreißend), er sieht auch gut aus und spielt ausgezeichnet. Mit einer bei Countertenören seltenen Modulationsfähigkeit grenzt seine Phrasierung an Perfektion. Als Cleopatra debütierte die junge Australierin Danielle de NIESE, die nicht nur brillant singt, sondern auch das für die Rolle notwendige Aussehen beisteuert. Wenn sie auf einem Fuß einer Pharaonenstatue ihre Arie "V'adoro pupille" singt, bleiben Cäsars Soldaten natürlich nicht kalt. Ihr sehr lyrisches Largo "Piangeró" im Käfig-Wagerl singt sie mit erschütterndem Ausdruck.

Der amerikanische Countertenor Bejun MEHTA stellte ihren Bruder Tolemeo als versnobten Playboy dar, der den Freuden des Lebens frönt und sich mehr für seinen Harem, als für die Pharaonen-Krone Ägyptens interessiert. Stephanie BLYTHE als Cornelia, Witwe des ermordeten Pompeo, singt sehr gut einige prächtige, eher larmoyante Arien, obwohl ihre Stimme für diese Musik schon zu schwer ist Anderseits kann man sich schwer eine bessere Besetzung als Anne Sofie von OTTER für den Sesto denken, eine Rolle, wo sie ihre große Kunst der Phrasierung und des mezza voce zeigen konnte.

Sehr gut war Franck LEGUÉRINEL als Verräter Achillas, der auf Cornelia scharf ist, sie aber doch nicht kriegt. Dominique VISSE als Cleopatras Vertrauter Nireno turnt in drei Meter Höhe auf der Sphinx herum und ist auch sonst absolut umwerfend, vor allem in seiner Arie, wo er abwechselnd mit Kopf- oder Bruststimme singt. Curio, den Vertrauten Caesars, sang und spielte Kevin GREENLAW passend.

Ein herrlicher Abend, trotz des Zwischenfalls! wig.