"SIMONE BOCCANEGRA" - 27. November 2002

Die etwas düstere Handlung von Totschlag, Verrat und Verschwörung im Genua des 14. Jahrhunderts gab Francesco Maria Piave den Rahmen für eine der schönsten Opern Verdis der mittleren Periode. Der Erfolg ließ aber zu Wünschen übrig: die Premiere in Venedig 1857 war ein Flop. Verdi lag jedoch das Werk besonders am Herzen, und zwanzig Jahre später überarbeitete Arrigo Boïto das mehr als konfuse Libretto, wobei Verdi große Teile neu schrieb (vor allem den ganzen, großartigen Schluß des 1. Akts).

Das Libretto ist zwar noch immer nicht ganz klar (weshalb wird Simones verlorene Tochter in einem Palast unter dem Namen Amelia Grimaldi von Fiesco - ihrem unwissenden, als Andrea verkleideten Großvater - bewacht?), aber das Resultat ist eine der tiefgehendsten Werke Verdis, mit patriotischen und pazifistischen Anklängen (Große Szene "Piango su voi" am Ende des 1. Akts). Daß dabei fest intrigiert, gemordet und entführt wird, was an faschistische Methoden erinnert, hat den Regisseur Nicolas BRIEGER bewogen, die ganze Handlung mit dem Aufstieg des italienischen Faschismus in Parallele zu stellen. Daß Boccanegra durch einen Staatsstreich der genuesischen Plebejer zur Macht kommt, legt diese Interpretierung nahe. Das ist zwar nicht sonderlich originell, aber durchaus vertretbar. Deshalb sind die Plebejer in Breeches und schwarzen oder dunkelgrünen Hemden gekleidet (Kostüme Nicole GÉRAUD). Nur die Hauptpersonen entkommen diesem Vorurteil und tragen passende, ja prächtige Kostüme. Alejandro STADLER leitete die Sänger durch diese Wiederaufnahme der zehn Jahre alten Inszenierung und die dunklen Bühnenbilder und die bisweilen trockene Szenographie von Gisbert JÄKEL. Konrad LINDENBERG beleuchtete passend.

Welch erfreuliche Überraschung die musikalische Seite! Eine perfekte "Repertoireaufführung", mit sehr bekannten Sängern, ja Stars, die aber nicht sich in den Vordergrund drängten. Die Aufführung war hörbar sehr gut geprobt, und das ist in erster Linie der sehr aufmerksamen und überaus durchsichtigen Leitung Pinchas STEINBERGs zu verdanken. Er hat uns bereits mehrere sehr schöne Opernabende beschert, hat sich aber hier selbst übertroffen: keine Hetzerei, kein Krach und Klamauk, die Lyrismen warm und schwelgend, die rubati dort, wo sie sein sollen. Das PARISER OPERNORCHESTER folgte dem Dirigenten mit hörbarer Begeisterung in echter italianità. Steinberg brachte eine seltene Symbiose mit der Bühne zustande. Absolut perfekt!

In der Titelrolle konnte man erstmalig Juan PONS erleben, der die Rolle des plebejischen Dogen mit Würde und großem Ausdruck gestaltete. Er ist stimmlich überaus überzeugend, sowohl als jugendlicher Hitzkopf, als auch als alternder Weiser. Sein Gegenspieler Jacopo Fiesco war mit Ferrucio FURLANETTO perfekt besetzt. Er war zwar anfangs hörbar belegt, sang sich aber rasch frei ("Il lacerato spirito" war sehr ergreifend) und drückte den gekränkten Stolz des genuesischen Patriziers ebenso ergreifend aus wie das verspätete Verzeihen. Hinreißend! Die beiden Szenen zwischen Simone und Fiesco (im Prolog und im 3. Akt) waren dramatische und gesangliche Sternstunden.

Barbara FRITTOLI gab Simones wiedergefundene Tochter, der falschen Amelia Grimaldi, die idealste Darstellung, die man sich vorstellen kann; sie singt nicht nur himmlisch, sie sieht auch blendend aus und trägt ihre Roben wie eine Patrizierin. Vincenzo LA SCOLA als Gabriele Adorno war richtig am Platz, wenngleich er bisweilen ein wenig halsig singt und stemmt. Vassili GERELLO war ein stimmgewaltiger Schurke Paolo Albani. Seine kleine Statur gab ihm zusätzliche Verschlagenheit für den Emporkömmling. Nicolas TESTÉ war ein passender Handlanger Pietro.

Der CHOR unter Peter BURIAN kam im Vorspiel etwas zu spät, sang aber dann in den Massenszenen sehr überzeugend. Ein prachtvoller Abend! wig.