“K..."- 9. Mai 2003

Die Pariser Oper bringt jedes Jahr ein Auftragswerk zur Uraufführung. Es ist sehr verdienstvoll, nach zwei Jahren das Werk auch wieder in den Spielplan aufzunehmen. Und man stellt fest, daß man gewisse Dinge bei der Uraufführung überhaupt nicht „bemerkt“ hat. Es war deshalb interessant, Manourys Oper „K…“ (nach Kafkas „Prozeß“) wieder zu hören. Philippe Manoury (geb. 1952) ist einer der wichtigsten französischen Komponisten der jüngeren Generation und beschäftigt sich seit 1981 mit elektronischer Musik, obwohl er auch „klassisch” komponiert. Bereits seine erste Oper „60ème Parallèle“ (Châtelet, 1997) enthielt elektronische Komponenten.

In „K…“ sind beide Formen der Musik effektvoll verschmolzen. Die Zerlegung der Obertöne in „Stimmatome“ erlaubt die Analyse eines komplexen Tones mit einem Computer. Dieser elektronischen Analyse kann umgekehrt eine Synthese folgen, die - auf Instrumente, Gesangs- oder Sprechstimme angewandt - erlaubt, mittels eines Spatialisators mit 16 Kanälen, eine ungehörte Raumverteilung zu kreieren. In einer totalen, multidimensionalen Tonkulisse wird dies im, mit Lautsprechern gespickten, Saal der Bastille ausgestrahlt. Schon in der 1. Szene der Oper wird diese sehr effektvolle, oft beängstigende, im Saal verteilte Elektronik als Gemurmel, Keuchen, Grunzen, Getuschel und Raunen verwendet, das die Angstträume des K... wiedergibt. Ebenso führt in der Szene beim Maler Titorelli, der von einer Meute hysterischer Gören umschwärmt wird, die Auftrennung und Selektion der Obertöne zu einem virtuellen Chorensemble, das an Möwen- Gekreische und Vogel- Gezwitscher erinnert.

Die Orchesterbehandlung ist der Wiener Schule verpflichtet, und man denkt of an Berg oder Webern. Der viel verwendete Sprechgesang weist auch in diese Richtung. Die Verwebung von elektronischen und klassischen Klängen ist auch von anderen (z. B. Stockhausen und besonders Ligeti) bereits verwendet worden, aber die ostinaten Flächen, mit eingesprengten Bläser-Schreien, sind Manourys Marke. Formal denkt man natürlich an „Wozzeck“, da die zwölf kurzen Szenen der neunzigminütigen Oper durch Orchester- Intermezzi verbunden werden; unter Verwendung von Elektronik, viel Blech und Schlagzeug. Die Szenenübergänge finden während der kurzen Zwischenspiele nahtlos statt.

Wie vor zwei Jahren wurde die Aufführung von Dennis RUSSEL-DAVIES musikalisch geleitet. Er führte das PARISER OPERNORCHESTER mit großer Präzision durch das Dickicht der Partitur - wahrlich kein leichtes Unternehmen. Der Komponist sorgte persönlich für die Tonprojektion, umgeben von einer Truppe von Toningenieuren des IRCAM.

André ENGEL ist hier direkt beteiligt, als Regisseur und als Librettist, denn er hat mit dem Schriftsteller Bernard Pautrat das (deutsche) Libretto geschrieben. Er zeichnete eine sehr flüssige und dynamische Personenführung. Fünf geschmackvolle Bühnenbilder von Nicky RIETI im Stil des ausgehendem 19. Jahrhunderts bildeten den Rahmen: das Büro des K..., in dem auch das Verhör stattfindet; ein Gang in einem Hotel; ein Saal, der sowohl als Gerichtssaal, Kathedrale und Treffplatz dient; ein Dampfbad als Domizil des Advokaten für verschiedene Treffen; und schließlich das Atelier des Malers Titorelli mit einer überdimensionalen Stkulptur. Die sehr kleidsamen Kostüme von Chantal de LA COSTE MESSELIERE waren perfekt. Alles war passend ausgeleuchtet von André DIOT.

Unter den Sängern dominierte Andreas SCHEIBNER in der Titelrolle, hier ein Bariton und kein Heldentenor wie in Einems „Prozeß“. Seine stimmliche Leistung und Diktion waren absolut vorbildlich und seine zwischen Realität und Halluzination oszillierende Darstellung ist einfach erschütternd, bis zur blutigen Hinrichtung mit einem Schlachter- Messer. Jeanne-Michèle CHARBONNET in den Rollen der geilen Frauen (als Leni, die alle Angeklagten schön findet und verführt, und als Frau des Gerichtsdieners, die mit dem Studenten und dem Richter schläft) stach stimmlich und durch ihre realistische Darstellung hervor.

Gregory REINHART lieh seinen schwarzen Baß dem Untersuchungsrichter und vor allem sehr eindrucksvoll dem Gefängniskaplan. Kenneth RIEGEL als Maler Titorelli sang am meisten, sein Tenor ist nach wie vor strahlend. Sehr gut Eva JENIS als Fräulein Bürstner, Robert WÖRLE als dicker Onkel, Wilfried GAHMLICH und Ian THOMPSON als die beiden Spitzel Franz und Willem, und Yuri KISSIN als Aufseher und Prügler, eine richtige Kapo-Figur.

Louise CALLINAN als die Frau, Wolfgang ABLINGER-SPERRHACKE als Gerichtsdiener und gedemütigter Block, Laurent NAOURI als zynischer Advokat und stellvertretender Direktor sowie Sergei STILMACHENKO als Auskunftgeber waren durchwegs vorzüglich.

Viel Applaus für den Komponisten und alle Künstler nach dieser letzten Vorstellung, die mit Jugendlichen „aufgefüllt“ war, die zwar anfangs etwas unruhig, aber dann gefesselt waren. wig.