"DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG"- 10. November 2003

Die „Meistersinger“ sind eine Rarität in Frankreich; in Paris seit Jahrzehnten nicht mehr gespielt, waren die drei konzertanten, halbszenischen Aufführungen ein Tropfen auf den heißen Stein. Es war jedenfalls ein sehr erfreulicher Abend.

Einerseits waren sehr erprobte Künstler zu hören, die ihre Rollen bereits dutzende Male gesungen haben, andererseits eine Gruppe jugendlicher Sänger, die mit ihrer Frische und perfekten Beherrschung der Partien einen sehr erfreulichen Eindruck machten. Zur ersten Gruppe gehört Jan-Hendrik ROOTERING als Sachs, der mehr den Mann des Volkes mit gutem Menschenverstand darstellte, als den Intellektuellen unter den Meistern, mehr Schuster als Poet. Es sang mit profundem Baß-Bariton einen schönen Fliedermonolog und war auch im Wahnmonolog sehr präsent. In der Schlußszene zeigte er jedoch Ermüdungserscheinungen, was aber dem Gesamtbild nicht schadete.

Kristinn SIGMUNDSSON war ein imposanter Pogner, seine mächtige Stimme und seine hünenhafte Statur dominierten alles. Seine menschliche Wärme kam selbst im Smoking zur Geltung. Absolut umwerfend war Eike WILM SCHULTE als Beckmesser. Er sang die Partie nicht nur vorzüglich – ich hatte ihn bisher nur in „ernsten“ Rollen erlebt – er spielte auch unglaublich komisch und tragisch, einfach großartig. Einen jugendlichen, stimmfesten Kothner sang Robert BORK.

Und vor allem Ben HEPPNER, dessen Stolzing an Perfektion grenzte. Seinen geschmeidigen Tenor kann man nicht als heldisch bezeichnen, obwohl er auch Tristan singt. Seine Stimme ist eine der seltenen, die man sich auch in lyrischen Rollen vorstellen kann, ein Fach, daß seit Slezak und Patzak kaum mehr zu existieren scheint. Absolut perfekt sang er die verschiedenen Versionen des Preislieds. Daß er im Smoking nicht sonderlich vorteilhaft aussieht, ist auf einer anderen Seite geschrieben.

Die junge Garde war durch die beiden Damen bestens vertreten. Anja HARTEROS singt absolut perfekt mit sehr runder, voller Stimme die wahrlich nicht leichte Partie, Sie spielte entzückend in einem einfachen, sehr schönen rostbraunen Abendkleid. Nora GUBISCH ist bereits mehrmals in modernen Opern aufgefallen, sowie als Hedwige in „Guillaume Tell“. Sie hat ein besonderes Geschick den undankbaren Partien – und Magdalena gehört dazu – etwas menschliches abzugewinnen und daraus glaubhafte Figuren zu machen. Ihr schöner samtener Mezzo ist natürlich ideal dafür. Endlich einmal eine Magdalena im passenden Alter, nicht eines der Auslaufmodelle, die man meistens in dieser Rolle zu hören bekommt. Die beiden jungen Damen amüsierten sich sichtlich blendend und kicherten wie Backfische, wenn immer sie auf Beckmesser zu sprechen kamen. Die beiden bedürfen keines Regisseurs!

Zu den sehr erfreulichen Figuren war auch der blitzlebendige David von Toby SPENCE zu zählen. Der junge Engländer, bereits mehrmals in Paris zu sehen gewesen, u.a. als Jacquino, ist auch im passenden Alter. Dank seiner frischen, sehr gut geführten Stimme verpaßt er dem David die entsprechende Lebendigkeit. Daß er auch perfekt deutsch zu sprechen scheint, hilft natürlich sehr in der Rollengestaltung. In seinem dunkeln Anzug schien er wie ein Gymnasiast bei der Preisverteilung. Hervorragend! Michael NELLE, Martin FINKE, Wilfried GAHMLICH, Thorsten SCHRANKE, Ulrich HIELSCHER, Scott WILDE und Michael VIER waren die wackere Meisterschar. Nicolas COURJAL sprang als Nachtwächter ein und sang etwas zu tief.

Chef James CONLON dirigierte bereits ein sehr zackiges Vorspiel und gab der Partitur das richtige Gleichgewicht zwischen Feierlichkeit und Schwank. Ausgezeichnet die Prügelszene. Der schwarze Vorhang erhob sich vor den hundert Sängern des PARISER OPERNCHORs, der den Johannis Chor in vorzüglichem Deutsch sang. Chormeister Peter BURIAN hat vorzügliche Arbeit geleistet. Der „Wacht auf!“ Chor, von über 100 Stimmen gesungen war sehr eindrucksvoll.

Vor dem Chor stand ein Halbkreis banaler Bürostühle und einer in der Mitte. Ein nicht sehr schlanker Herr, der wie ein nobler Vertreter aussah, in dunklem Anzug und mit Mascherl, begann zwei hübschen jungen Damen etwas aufzuschwätzen. Der Herr im Smoking war niemand anderer als Ben Heppner, der mit strahlendem Tenor dabei war, sich in die hübsche Eva von Anja Harteros zu verknallen, die ihre Magdalena, Nora Gubisch in schulterfreiem Abendkleid herumkommandierte. Das war der Eindruck, den man von der Kirchenszene hatte – der Nachteil einer halbszenischen Aufführung. Ebenso wie später, die Szene der Meister und die Ansprache Pogners an eine etwas turbulente Sitzung („Es gab viel Streit!“) eines Aufsichtsrates erinnerte, wo die weiß bekränzten Häupter der älteren Herrn von den Jungen überstimmt wurden. Ein kleiner Verschlag diente dem Merker als „Gewerk“. Im 2. Akt stand ein kleiner Arbeitstisch in der Mitte und für Beckmessers Auftritt kam eine Harfenistin (Anne HÜTTEN) mit ihrem Instrument auf die Bühne. Der Tisch war auch im 3. Akt da, um Sachsens Wahnmonolog zu dienen. Vielleicht eine „neue“ Inszenierungsart mit Zukunft? Nicht schlechter als was oft zu sehen bekommt und billig ist’s auch.

Die von weit herbei gereisten Wagnerianer feierten dankbar alle Künstler (in den beiden nicht enden wollenden Pausen – 50 und 30 Minuten!! – hörte man sehr viel deutsch und englisch, aber auch italienisch und spanisch). wig.