“SALOME"- 15. Oktober 2003

Hugues Gall hat für seine letzte Saison als Direktor der Pariser Oper ein sehr ehrgeiziges Programm zusammengestellt, das auch drei Strauss-Opern einschließt („Salome“, „Ariadne auf Naxos“ und „Capriccio“). Es ist allerdings nicht klar, weshalb eine neue Produktion nötig war, denn die von André Engel und Nicky Rieti von 1994 war nicht schlecht, wenngleich etwas unbewohnt, denn der arme Tetrach Herodes mußte sich selbst das Geschirr für sein Gelage holen. Daß Auslagerungen heute sehr gefragt sind, beweist allerdings auch diese Premiere von „Salome“, denn auch hier ist das Personal gekündigt worden.

Man hat Lev DODIN und sein Team (David BOROVSKY, Bild und Kostüme, Mikail STRONIN, Dramaturgie) geholt. Man befürchtete aber „Schreckliches wird geschehen“, nach der „Pique Dame“ im Irrenhaus vor zwei Jahren. Die Befürchtungen waren jedoch unbegründet, denn Dodin stellte eine „zahme“, gut durchdachte Inszenierung auf die Bühne. „Salome“ spielt in einer heute ähnlichen Zeit der großen Umwälzungen, und das ist ein vertretbares Konzept. Das Bühnenbild erinnert an Böcklin. Es ist ziemlich dunkel auf der Terrasse des Palast des Herodes, zwei Zypressen im Hintergrund tragen zu der düsteren Atmosphäre bei, links eine große Treppe, darunter das Gitter eines riesigen, etwa 6 m hohen, 1 m breiten Käfigs der dann mit dem gefangenen Jochanaan langsam, nicht enden wollend, heraus rollt.

Der Mond kommt bei Salomes Auftritt hervor und zieht während der Handlung quer über den Himmel nach links (er zieht allerdings nur in der südlichen Hemisphäre nach links). Beim Schlußgesang tritt eine Mondfinsternis ein (ausgezeichnete Beleuchtung Jean KALMAN). Aber wiederum, leere Bühne, das Fest des Herodes ist eher eine Affäre der „Gartenlaube“ Zeit, Herodes und Heriodias sitzen auf der Gartenbank, während Salome tanzt. Herodes hat keine Gäste, kein Personal, auch Ozias und Manasse sind entlassen worden. Das alles riecht eher nach kleinbürgerlicher Dekadenz im Pensionistenheim.

Karita MATTILA ist eine an die Perfektion grenzende Salome, stimmlich perfekt (bis auf die große Tiefe „wie ein Grab“), mit ungeheurer Präzision in Ausdruck und Phrasierung, außerdem versteht man jedes Wort. Seit Welitsch habe ich keine solche Salome erlebt. Es fehlt ihr nur noch das sinnliche Schillern in der Stimme, aber das wird auch noch kommen. Auf dem erwähnten Käfig kann sie herumturnen, wüten, den Täufer becircen. Sie spielt mit unglaublicher Intensität, springt katzenhaft auf den Käfig. In dem von Yuri VASSILIKOV blendend choreographierten, laszieven Schleiertanz blättert sie von ihrem schwarz-goldenen Rock einen Schleier nach dem anderen ab, bis sie schließlich fast nackt zusammenbricht. Sicher einer der gelungendsten Schleiertänze, die ich je gesehen habe.

Als furchterregender, sehr stimmgewaltiger Prophet Jochanaan, drängte Falk STRUCKMANN Salome an die Grenze der Bekehrung. Seine stimmliche Modulationsfähigkeit ist beeindruckend, von seinem wütenden Fluch „Wo ist sie?“ und „Tochter der Herodias! Niemals!“ bis zum zarten lyrischen „auf einem See in Galiläa“ war er absolut hinreißend. Als psychopathischer Herodes spielte Chris MERRITT, mit Weintrauben gekrönt, den abergläubischen und von seiner Frau eingeschüchterten Tetrarchen sehr eindrucksvoll. Es ist erfreulich, daß der frühere tenore di grazia den Übergang zum heldischen Zwischenfachtenor geschafft hat.

Seine bösartige Gattin Herodias war Anja SILJA, die vor dreißig Jahren in Paris in einer Wieland Wagner Produktion Salome sang. Sie stellte blendend die orientalische, etwas perverse Hetäre mit distanzierter Eleganz dar. William BURDEN bot einen stimmlich sehr ansprechenden Naraboth und war ein stattlicher Leutnant.

Das Juden-Quintett, fast choreographisch geführt, bestand aus den vier Tenören in großen schwarzen Hüten, Wolfgang ABLINGER-SPERRHACKE, Martin FINKE, Scott WYATT und dem dicken Robert WÖRLE, sowie dem Baß Ulrich HILSCHER als Rabbiner, und war sowohl stimmlich, als auch darstellerisch ganz ausgezeichnet. Blendend! Stanislav SCHWETS als 1. Nazarener kündigt den fünf Juden und dem Ehepaar Herodes (sonst ist ja niemand anderer da!) die Ankunft des Messias an, von Mihaljo ARSENSKI sekundiert. Michelle BREEDT war ein besorgter Page. Kristof KLOREK, Scott WILDE und Jean-Loup PAGESY rundeten die Besetzung ab.

James CONLON dirigierte sehr symphonisch, bedacht auf die Bühne, aber sehr dem ORCHESTER zugewandt, das die schillernde Partitur mit hörbarer Begeisterung spielte. Ein prächtiger Abend mit viel Applaus. wig.