“GUILLAUME TELL” - 23. März 2003

Rossinis letzte Oper ist eine echte Rarität und wurde seit 1932 nicht mehr an der Pariser Oper gegeben. Nicht nur in Frankreich, auch sonstwo, wird der “Tell” nicht viel gespielt. Seit der “Wiederentdeckung” (in einer Gründgens–Inszenierung) 1952 beim Maggio Musicale in Florenz (mit Tebaldi, Becchi und Baum, unter Mitropoulos oder Serafin), ist es auch nicht viel besser geworden. Vor fünfzehn Jahren gab es ein paar sehr gute Vorstellungen von “Tell” mit Lafont, Cuberli und Merritt im Théâtre des Champs Elysées. Und in Wien wurde “Tell” vor zwei Jahren in einer sehr schönen Besetzung, aber läppischen Inszenierung gebracht.

“Guillaume Tell” ist – nicht ganz – ein “Grand Opéra” (im Französischen ist “Opéra” männlich), denn er hat nur vier Akte, und nicht fünf. “Tell” ist nicht Rossinis beste Oper, wenngleich es einige prächtige Stellen gibt, angefangen mit dem Kuhreigen der Ouvertüre. Das Libretto von Victor-Etienne de Jouy, bereits drei Jahre später von Hippolyte Bis “verbessert”, ist dramatisch eher schwach. Die Premiere mußte mehrmals verschoben werden, da Mlle. Laure Cinti-Damoureau, die Sängerin der Mathilde, schwanger war. “Guillaume Tell” wurde schließlich am 3. 8. 1829 in der brillantesten Besetzung (Dabadie, Cinti-Damoureau, Nourritt) in der Salle Pelletier in Paris uraufgeführt, aber in 41 Jahren nur 128 Mal gespielt (im Vergleich dazu wurde der zwei Jahre später uraufgeführte “Robert le Diable” Meyerbeers in der ersten Saison 61 Mal gespielt!). Der für Rossini schwache Erfolg des “Guillaume Tell” bewirkte, daß der Schwan von Pesaro mit 37 Jahren das Komponieren praktisch aufgab (er lebte seit 1824 in Paris) und in den nächsten, fast vierzig Jahren bis zu seinem Lebensende nur noch die “Petite Messe solemnelle” und ein paar Melodien schrieb, von seinen – reichlichen – Tantiemen lebte und … kochte.

Lange Strecken von Rezitativen und Ariosi helfen kaum der Bühnen-Wirksamkeit der Oper. Der Titelheld hat keine einzige wirkliche Arie zu singen, sondern ist nur in Duetten, Terzetten und Ensembles zu hören, weshalb sich nur wenige Baritone um die Rolle reißen. Der Rollenträger muß eine außergewöhnliche Bühnenpersönlichkeit sein. Die weibliche Hauptrolle der Mathilde ist nicht zu schwer, braucht aber eine sehr ausdrucksvolle Sängerin, um die Rolle vor der Verkitschung zu retten. Der Tenorpart des Arnold ist absolut mörderisch mit hohen “C” und “Cis” gespickt (für Adolphe Nourritt geschrieben!), was nicht jedem Tenor gegeben ist und daher der Zahl der Aufführungen nicht sonderlich behilflich ist. “Guillaume Tell” aufzuführen ist also ein riskantes Unternehmen.

Die neue Produktion war Francesca ZAMBELLO anvertraut worden. Von böse Zungen wegen ihrer Vorliebe für die Bühnenmaschinerie der Bastille Oper “Cecile de Mille der Oper” genannt, strapazierte sie diesmal die Technik nicht sehr. Sehr überarbeitet hat sich Frau Zambello nicht. Da sie sehr gefragt ist (sie hat im Februar an der Met Berlioz‘ “Les Troyens” inszeniert, wahrlich keine Kammeroper), hat sie sich in Paris (mit zwei Regieassistenten) aufs Wesentliche beschränkt. Die Chöre wurden sichtlich bevorzugt und die Solisten eher sich selbst überlassen, was man bemerkte. Der Rütli-Schwur beschränkte sich auf Fahnenschwingen. Die symbolistischen Bühnenbilder von Peter DAVISON bestehen essentiell aus Latten, zusammengeklebt werden Bäume heraus geschnitten, in Flächen genagelt werden daraus Wände. Von einem besonders häßlichen grünen Hügel beobachten die Schweizer Tells Rettung. Daneben steht auf einem ca. fünf Meter hohen, unglücklichen Gestell ein winziges Bauernhaus (man denkt an eine Kuckucksuhr!), das im 4. Akt abbrennt, um das Zeichen für den Aufstand zu geben.

Die nicht immer passenden Kostüme von Marie-Jeanne LECCA, sind einzig für die Schweizer tragbar. Mathilde erscheint im 2. Akt in einem eleganten grünen Jagdkleid im Stil von 1830 zu ihrem Stelldichein mit Arnold. Weshalb sie im 3. Akt in einem goldenen Renaissancekleid erscheint, ist nicht klar. Oder warum tragen die pechschwarz gekleideten Sturm-Truppen Gesslers Feuerwehrhelme? Die Choreographie von Blanca LI war einfallsreich, amüsant und passend folkloristisch. Jean KALMAN steuerte die passende Beleuchtung bei.

Zum Glück war ein Rossini-Spezialist am Pult, Bruno CAMPANELLA, der hörbar mächtig geprobt hatte und aus dem ORCHESTER den größtmöglichen Einsatz herausholte. Aber auch hier stellte sich bald eine gewisse Müdigkeit ein. Der großartige CHOR der Pariser Oper unter der Leitung von Peter BURIAN war der große Triumphator des Abends und wurde auch am Schluß entsprechend gefeiert.

Die Sänger waren gut, aber kaum umwerfend. Selbst Thomas HAMPSON in der Titelrolle habe ich schon in besserer stimmlicher Verfassung erlebt. Er gab jedoch mit seiner hühnenhaften Statur dem Tell die nötige szenische Substanz. Eher enttäuschend war die Mathilde der Armenierin Hasmik PAPIAN, die mit wenig interessanter Stimme zwar alle Noten sang, aber darstellerisch und ausdrucksmäßig kaum überzeugen konnte.

Die schreckliche Rolle des Arnold war für Marcello GIORDANI viel zu anstrengend. Er hat außerdem die arge Tendenz, zu tief zu singen, was in der großen Arie des 4. Akts “Asile héréditaire” die Grenzen des Erträglichen erreichte. Schade! Sehr positiv fiel dafür der französische Nachwuchs auf, in der Person zweier junger Sängerinnen.

Gaële LE ROI war ein quicklebendiger Jemmy, der keine Angst vom Apfelschuß hatte (der Apfel explodierte buchstäblich); sie sang auch blendend mit glockenheller Stimme. Der ausgesprochen undankbaren Rolle der Hedwige gab Nora GUBISCH stimmlich und darstellerisch ungewöhnliches Profil, was das Publikum am Ende mit tobendem Beifall quittierte.

Zu Beginn sang Toby SPENCE mit angenehmem, gut geführtem Tenor sein hübsches Fischer-Lied. Überbesetzt war Rudolf, der Hauptmann der Schlägertruppe, mit Janez LOTRIC. In den letzten Vorstellungen wird er aber den Arnold singen. Eindrucksvoll und stimmkräftig war Alain VERNHES als Melchthal. Jeffrey WELLS war ein ausnehmend brutaler Gessler, Gregory REINHART ein rustikaler Leuthold, Wojtek SMILEK war rollendeckend als Walter.

Leider enttäuschend! wig.