“KROL ROGER” (KÖNIG ROGER) - 25. April 2003 (konzertant)

Manche Opern sind heute schwer auf die Bühne zu bringen. Man muß dem Châtelet hoch anrechnen, die “Russische Saison” mit dieser polnischen Oper konzertant vervollständigt und in einer mustergültigen Aufführung gebracht zu haben. Die Oper wurde übrigens vor etwa zwanzig Jahren in Paris auch nur konzertant gespielt. Ehrlich gesagt, ich kann mir schwer vorstellen, “König Roger” auf der Bühne zu sehen, die ich vor vier Jahren bei einem längeren Besuch in Warschau “fast” gesehen hätte, wenn nicht zwei der drei Hauptdarsteller krank geworden wären. Die symbolistische, pantheistische Thematik, sehr in der Jugendstil-Ästhetik verankert, ist heute etwas schwer verdaulich. Was nicht heißt, daß es sich nicht um ein wichtiges und interessantes Werk handelt, im Gegenteil.

Karol Szymanowski (1882-1937) ist einer der profiliertesten und ergiebigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er war auch Schriftsteller und schrieb während des 1. Weltkriegs einen großen Roman “Ephebos”. Sehr weit gereist hatte Szymanowski immer den Drang nach dem Süden gefühlt und vor dem 1. Weltkrieg lange Reisen durch Frankreich, England, Deutschland, Österreich und dem Mittelmeerraum gemacht, und hier besonders Italien, Sizilien, Nordafrika und Griechenland besucht. Er hat vier Symphonien, Kantaten, zahlreiche Lieder, Kammermusik, Ballette und mehrere Opern geschrieben. Außerdem hatte er eine ausgesprochene Vorliebe für hellenistische und mittelalterliche Vorlagen. Zahlreiche seiner Chorwerke sind auf griechische oder lateinische Texte geschrieben, während er in seinen frühen Liedern polnische, aber auch deutsche, Gedichte vertonte (u.a. von Dehmel und Bierbaum). 1917 mußte er aus seiner ukrainischen Heimat flüchten und ließ sich in Ielisavetgrad nieder. Hier traf er 1918 mit seinem Neffen, dem Dichter Jaroslaw Iwaszkiewicz, zusammen, mit dem er “König Roger” konzipiert. Am Ende der zwanziger Jahre setzte er sich für eine Erneuerung der polnischen Musik ein, was ein Reihe typisch polnischer Werke ergab und in seinen Lieder nur mehr polnische Texte verwandte.

Dank seiner zahlreichen Reisen nach Paris, kam er mit Diaghilev in Verbindung und lernte Ravel und Debussy kennen. Musikalisch ist er daher stark vom französischen Impressionismus, dem Ballett, aber auch von Mahler und R. Strauss beeinflußt. Der polnische Komponist hat auch dem damals – vor allem in Italien um Respighi - verbreiten Archaismus gefrönt. Es gibt aber keine Puccini‘schen “Ohrwürmer”. Die Anspielung im “König Roger” auf die “Bacchanten” von Euripides ist daher ebenso wenig zufällig, wie die auf Ravels “Daphnis” et Chloé oder Debussys “Martyre de Saint Sébastien”. Dionysos tritt hier als Hirt auf und ein etwas irrealer Pantheismus umgibt das Werk. Die Rolle des Königs verschleiert auch dessen Homosexualität. Pasolini hat diese Problematik zum Paroxysmus gebracht in seinem Film “Theorem”, in dem ein schöner Ephebe eine ganze Familie, Mutter, Vater, Tochter und Sohn, verführt. Szymanowskis lange verdrängte Homosexualität wurde erst in den dreißiger Jahren offenbar. Er starb erst fünfundfünfzigjährig in einer Klinik in Lausanne an Tuberkulose.

“König Roger” ist Szymanowskis reifstes Bühnenwerk. Er war von König Roger II. von Sizilien fasziniert und schrieb selbst das originale Libretto mit Jaroslaw Iwaszkiewicz, der sich aber bald vom Symbolismus abwandte und das Handtuch warf. Der Komponist schrieb den Text des 3. Akts alleine. Die nur 90-Minuten Oper wurde im August 1924 fertiggestellt, und die Uraufführung in Warschau fand am 19. Juni 1926 statt. Drei Hauptpersonen - König Roger, seine Frau Roxana und der Hirt - beherrschen die statische und einigermaßen krause Handlung. Ein besonders sturer Erzbischof und eine ziemlich hysterische Äbtissin, die den Hirten der Häresie bezichtigen, umgeben sie, sowie ein maurischer Weiser Edrisi, der den König beruhigen will.

Mit einem antikisierenden byzantinischen Chor (in lateinischer Sprache) zieht der König und sein Gefolge in die Kathedrale von Palermo ein, sofort gefolgt von der Anklage der beiden Kirchengrößen. Der schöne Hirten-Ephebe verteidigt sich, daß er nur Schönheit und Liebe predige: “Mein Gott ist auch so schön wie ich!” Roxana ist sichtlich von ihm angezogen. Auch Roger kann sich einer Attraktion nicht erwehren. Er schickt den Hirten zurück in seine Berge, lädt ihn aber noch für den Abend in seine Burg. Zu Beginn des 2. Akts bittet Roxana für den Hirten in einem strahlenden Nachgesang mit Chor, der in seiner Dramatik an “Elektra” erinnert. Der Hirt kommt vor den König und berichtet ihm, daß sein Kult bereits bis Indien reiche: “Sie glauben an meiner Augen Glanz, den Du fürchtest.” Ein orgiastischer Tanz seiner Jünger im 6/8-Takt, dem sich Roxana anschließt, verweist auf Szymanowskis Pariser Zeit – Ravel und Debussy sind nicht weit. Auf Rogers Befehl wird der Hirt gefesselt, der aber sofort die Fesseln sprengt mit dem Ruf “Wer frei ist, folge mir!” Alle – einschließlich Roxana - ziehen tanzend ab, nur Roger und Edrisi verbleiben. Roger wirft Krone und Szepter weg und beschließt, den Bacchanten zu folgen. Der 3. Akt beginnt mit einem großen Monolog Rogers vor einem brennenden Opferaltar, in dem er sich über den Sinn der Macht fragt. Er ruft Roxana, die nach beklemmendem Schweigen unter leichtem Trommelwirbel und Streicher-Glissandi antwortet. Nach einem sehr dichten Duett zwischen dem Herrscherpaar erscheint der spurlos verschwundene Hirt als Dionysos, der Gott von Schönheit, Freuden, Lust und Freiheit. Er ruft zum ewigen Rausch auf. Der Chor der Bacchanten und Mänaden, von denen Roxana eine ist, fällt in einem riesigen Ensemble ein. Nach dem Erlöschen des Feuers schließt die Oper in einem ergreifenden Gesang Rogers an die Sonne mit einem tiefen C-Dur Akkord.

Die Koproduktion mit der französischen Rundfunkstation wurde vom ORCHESTRE PHILHARMONIQUE DE RADIO FRANCE und den RADIO-CHÖREN bestritten. Jukka-Pekka SARASTE hatte vorbildlich die schillernde Sensualität der Musik herausgearbeitet. Er brachte ebenso die sinnlichen Stellen, wie die großen Ausbrüche bestens zur Geltung. Norbert BALATSCH hatte den Chor und Toni RAMON den Kinderchor brillant einstudiert – alles auf Polnisch!

Für Thomas Hampson, der kurzfristig abgesagt hatte, sprang Wojtek DRABOWICZ ein. Er war zufällig in Straßburg tätig und hatte die Rolle bereits auf der Bühne gesungen. Er war wahrlich keine Enttäuschung, zumal er in seiner Muttersprache sang, was sicher auch ein Vorteil war. Seine große, breite, sehr kultivierte und ausgeglichene Stimme füllte mühelos das Theater auch bei den fortissimo Stellen. Die zwiespältige Rolle der Roxana, die sich Dionysos anschließt, wurde von Tatiana Maria POZARSKA mit prächtigem jugendlich-dramatischem Sopran sehr ergreifend und dramatisch dargestellt.

Ryszard MINKIEWICZ sang die mörderische Tenorrolle des Hirten Dionysos, wie Richard Strauss sie hätte schreiben können (Bacchus oder Apollo). Der polnische Tenor entledigte sich mit feiner Intelligenz und sehr kultivierter Stimme der Aufgabe. Er erinnert in seiner Art sehr an den unvergessenen Julius Patzak. Den arabischen Weisen Edrisi sang der slowakische Tenor Stefan MARGITA, in Paris als Spezialist für slawischen Rollen geschätzt, mit schönen Akzenten und beruhigender Stimme.

Jadwiga RAPPé lieh ihren schönen Alt sehr passend mit bösartigen Schreien der hysterischen Äbtissin. Sie sekundierte den fanatischen Erzbischof von Rafal SIWEK, der mit schwarzem Baß dem Hirten seine Flüche entgegen schleuderte.

Das Publikum war sichtlich begeistert von dem ungewöhnlichen Werk und feierte die Künstler triumphal. Was beweist, daß man auch eine wenig bekannte polnische Oper erfolgreich spielen kann! wig.