“DIE ZARENBRAUT"- 27. Juni 2003

Direktor J. P. Brossmann des Théâtre du Châtelet kann stolz sein auf seine sehr erfolgreiche und hoch interessante „Russische Saison“. Diese endete mit einem Gastspiel der Oper Bordeaux im Rahmen des alljährlichen „Festival des Régions“ mit dieser im Westen so gut wie unbekannten Oper Rimski-Korsakows.

Rimski-Korsakow hat nicht nur den „Hummelflug“ und „Scheherazade“ geschrieben, sondern auch symphonische Dichtungen, zahllose Lieder und dreizehn Opern. Die neunte Oper „Die Zarenbraut“ ist eine Abkehr von seinen nationalistischen Freunden der „Gruppe der Fünf“ und eine Rückkehr zur Nummern-Oper. Tschaikowski hatte in der russischen Opernliteratur diese Form zum Höhepunkt geführt. Die entschiedene Abkehr vom deutschen Einfluß - keine Leitmotive mehr - ist durch die betont russische musikalische Sprache unterstrichen. Die sehr ausdrucksvolle und ausgefeilte Instrumentierung, mit weitgehend solistischer Verwendung der Holzbläser, ist auch durch ausdrucksvolle musikalische Ideen gekennzeichnet, wie das synkopierte, absteigende Schritt- Motiv des Duetts Liubacha - Grigorii des 1. Akts. „Die Zarenbraut“ ist zwar keine folkloristische Oper, doch die Chöre sind sehr von russischer Volksmusik beeinflusst. Wenn immer der Zar erwähnt wird, ertönt die Zarenhymne „Slava“, bisweilen nur kurz angedeutet. Wenn noch notwendig, ist der Beweis erbracht, daß Rimski-Korsakows Opern denen seiner Zeitgenossen völlig ebenbürtig, in vielen Fällen haushoch überlegen sind.

Das melodramatische Libretto vereint geschickt volkstümliche Liebesgeschichte und historische Handlung. Die Geschichte der jungen Marfa, die am Tag ihrer Verlobung vom Zaren zur Frau gewählt wird, und die dann an den Intrigen des Bojaren Grigori Griaznoi und dessen Mätresse Liubacha zu Grunde geht, gibt den Rahmen der Oper. Die Begebenheiten unter dem Zaren Ivan dem Schrecklichen (er erscheint kurz im 2. Akt nur als stumme Person), der mit Folter, Gift und Mord ein von Aberglauben und Terror verschrecktes Volk von skrupellosen Bojaren unterdrücken ließ, dienen als Hintergrund der Handlung. Rimski schrieb mit Ilya Tiumenev selbst den Text nach einem Stück von Lev Mey, der schon 25 Jahre vorher für seine erste Oper „Pskovityanka“ (oder „Ivan der Schreckliche“) den Stoff geliefert hatte.

„Die Zarenbraut“ wurde im Sommer und Herbst 1898 komponiert und am 22. 10. 1899 in der Privatoper des Mäzens Savva Mamontov uraufgeführt. Im Mai 1911 wurde „Die Zarenbraut“ im Pariser Théâtre Sarah Bernhard im Westen erstmals aufgeführt (damals wurde auch Rubinsteins „Dämon“ erstmalig gegeben) und hier nie mehr wieder gespielt. Es ist keine Kleinigkeit, diese Oper auf die Bühne zu bringen und reisefertig zu machen. Das Bühnenteam, Temur TSCHKEIDZE (Regie), Georgi ALEXI-MESKHISHVILI (Bühnenbilder und Kostüme) und Nicolas SIMONIN (Beleuchtung) löste das Problem durchaus zufriedenstellend. Die fast leere, immer von einer Ikone oder einem drohenden Zarenbild beherrschte, Bühne war mit angedeuteten Zwiebeltürmen und einfachen Versatzstücken vervollständigt. Die prächtigen Kostüme waren einfach „folkloristisch“, ohne kitschig zu sein. Die Opritchniki – Ivans GPU – in feuerroten Mänteln waren besonders eindrucksvoll. In diesem Rahmen konnten sich die Sänger und Chöre passend bewegen, und das Drama konnte durchaus glaubhaft dem Besucher nahe gebracht werden.

Der österreichische Dirigent Hans GRAF ist der musikalische Direktor der Oper in Bordeaux. Er ist wie wenige Dirigenten im Westen prädestiniert für russische Musik, da er in Wien und Leningrad studiert hat und in Leningrad mehrere Jahre Assistent bei der berühmten Philharmonie war. Er kennt seither diese Musik bestens und spricht auch fließend russisch. Diese Liebe und perfekte Kenntnis wußte Graf in der Aufführung dem ORCHESTRE NATIONAL DE BORDEAUX-AQUITAINE mitzuteilen, das seinem Chef sehr willig durch die ungewohnte Partitur folgte. Der CHOR DER OPER BORDEAUX (Leitung Jacques BLANC) verteidigte seine rollentragende Funktion sehr vorteilhaft, sowohl in den schönen Frauenchören als auch in den Trinkliedern der Opritchniki.

In der Titelrolle brillierte die junge Olga TRIFONOVA, die bereits zu Weihnachten im „Goldenen Hahn“ triumphiert hatte. Ihr perfekt geführter Koloratursopran ist für die Marfa ideal. Sie spielte auch die Rolle perfekt, zuerst das charmante junge Mädchen, dann ungemein erschütternd die Wahnsinnsszene im 4. Akt. Mikhail DAVIDOFF sang ihren Bräutigam, den jungen Bojaren Ivan Lykov ausdrucksvoll mit heldischem Tenor, besonders wenn er im 1. Akt seine Erlebnisse in Deutschland schildert.

Der einzige Nicht-Russe war Ludovic TÉZIER, der den bösen Bojaren Grigori Griaznoi mit seinem Prachtbariton höchst eindrucksvoll gestaltete. Seine verlassene Mätresse Liubascha war bei der imposanten Elena MANISTINA (auch schon mehrmals diese Saison zu hören) in besten Händen. Ihr trauriges a-capella Lied des 1. Akts war erschütternd in seiner Einfachheit. Ihr wunderbar dunkler Mezzosopran war für die Ausbrüche der Verzweiflung und des Hasses der Liubascha perfekt, vor allem in der traurigen Arie zu Ende des 2. Akts.

In den Nebenrollen war Denis SEDOV ein sehr unterwürfiger, stimmgewaltiger Sobakin, der Vater Marfas, Albert SCHAGIDULLIN ein ebenso stolzer Opritchnik Skuratov. Dem machiavellischen Arzt Bomelius, den Lykov aus Deutschland mitgebracht hatte, lieh Felix LIVSCHITZ seinen klaren Tenor. Irina DOLCHENKO als Saburova sang mit Humor und angenehmem Sopran die nicht enden wollende Beschreibung der Audienz beim Zaren. Nona JAVAKHIDZEs warmer Mezzo war für die Rolle ihrer Tochter Duniacha passend.

Drei Tage vorher, am 24. Juni, mußte die Vorstellung kurz vor Ende des 2. Akts wegen einer elektrischen General-Panne abgebrochen werden. Es war umso erfreulicher diese schöne Oper komplett zu sehen und den durchschlagenden Erfolg des Gastspiels aus Bordeaux bei der letzten Vorstellung zu erleben. Das dankbare Publikum feierte die Künstler mit lang anhaltendem Beifall und vielen Vorhängen. wig.