“EUGEN ONEGIN” - 28. Januar 2003

Für die “Russische Saison” das Mariinski Theater einzuladen, war natürlich eine brillante Idee. Der russische Wirbelsturm des Mariinski Theaters unter der Leitung von Valery GERGIEV mit Chor, Orchester und Kulissen ist über Paris eingebrochen: Je fünf Aufführungen von “Onegin” und Rubinsteins “Dämon”, eine konzertante “Pique Dame”, plus ein Konzert. All das in zwei Wochen!

Maestro Gergiev, in Paris liebevoll “der Steppenwolf” genannt, und sein Orchester hatten nicht viel Zeit für Tourismus und Museen! “Eugen Onegin” war allerdings nicht wirklich notwendig, zumal diese Oper in zwei Monaten in der Bastille-Oper in einer – etwas tiefgekühlten - Inszenierung von Willy Decker wieder gespielt wird. Seit der Eröffnung der Bastille-Oper vor zwölf Jahren gab es bereits zwei Produktionen der “Pique Dame” (die letzte von Lev Dodin), die vorige Saison gespielt wurde. Auch wenn Dalayman, Domingo und Obratsova sangen, war diese konzertante Aufführung kaum gerechtfertigt. Eine Glinka- oder Dagomirski-Oper, ein wenig bekannter Tschaikowski oder Rimski-Korsakoff oder eine Prokofieff-Oper - Gergievs Paradestücke - wären interessanter gewesen. Trotzdem hat Marschall Gergiev mit seinen Truppen Paris im Sturm erobert.

Man muß beobachten, wie Valery Gergiev sein ORCHESTER und die Bühne zu solchen Triumphen führt. Er dirigiert ohne Taktstock, so daß der rechte kleine Finger anscheinend der wichtigste ist, denn mit einem Wink dieses Fingers kommen die perfekten Einsätze, die großen Tonkaskaden. Das Orchester beobachtet seinen Chef ständig und folgt ihm eben mit dem kleinen Finger. Das Resultat sind sehr straffe Tempi, wobei die Walzer und Mazurken nicht zu kurz kommen. Nie verfällt Gergiev in die weit verbreitete, larmoyante Schmalzigkeit. Der CHOR DES MARIINSKI THEATERS ist unglaublich homogen, die Stimmen in perfekter Harmonie, von Andrei PETRENKO hörbar bestens geführt.

Nur Gergiev kann sich leisten, eine Repertoire-Oper wie “Eugen Onegin” mit sehr jungen Sängern auf die Bühne zu stellen. Die Sänger der beiden Liebespaare waren alle vier unter dreißig und einfach hinreißend. Eigentlich sollte die Oper ja “Tatjana” heißen (Dostojewski war schon dieser Meinung), denn die weibliche Hauptrolle steht im Mittelpunkt des Werks. Tatiana PAVLOVSKAYA hat alle Qualitäten dafür: ihre Briefszene war phantastisch, sie singt mit strahlendem, aber warmem Sopran und spielt das schüchterne junge Mädchen der Landbourgeoisie mit verhaltenem Charme, ebenso wie die Großfürstin Gremin mit kühler Herablassung. Die Rolle ihrer Schwester Olga – sehr oft vernachlässigt - stattete die junge Mezzosopranistin Ekaterina SEMENTCHUK mit Persönlichkeit aus. Sie singt nicht nur prächtig, sie spielt auch das flirtende Gänschen mit jugendlichem Charme.

Den zynischen Dandy Onegin spielte Vladimir MOROZ im 1. Akt ebenso überzeugend, wie den feurigen, verzweifelten Liebhaber am Ende der Oper. Seinen schönen, warmen und ausgeglichenen Bariton führt er mit Eleganz. Der Lenski von Daniil SHTODA besticht durch die Brillanz seines herrlichen Tenors, der seinem Spleen und seiner Eifersucht freien Lauf läßt. Nur sein Frack war zu eng für ihn (er war nicht in der ursprünglich vorgesehenen Besetzung). Seine große Arie vor dem Duell wurde mit Recht gefeiert. Beide Herren werden sicher noch mehr in diese Rollen hineinwachsen, denn bisweilen fehlt ihnen noch die Persönlichkeit, eine gewisse Dichte der Figuren.

Den Fürsten Gremin sang Mikail KIT mit Würde und Herz. Svetlana VOLKOVA mit schöner Stimme war als Madame Larina eine besorgte Familienmutter, mehr als die sonst oft farblose alte Dame. Olga MARKOVA-MIKHAILENKO war eine gutherzige Amme Filipievna. Jean-Paul FOUCHÉCOURT war der einzige Nichtrusse, der, mit passender Lächerlichkeit für die Rolle, dem Monsieur Triquet seine schöne Stimme für das Couplet lieh. Mikail PETRENKO war rollendeckend als Saretzki und Hauptmann.

Die Inszenierung aus Sankt Petersburg hatte dort am 14. August 2002 während des “Festivals der weißen Nächte” Premiere und wurde vom französischen Team Patrice CAURIER und Moshe LEISER betreut. Vor allem in Lyon und Genf tätig, waren auch mehrere ihrer Produktionen in Paris bereits zu sehen. Sie haben sich sichtlich sehr präzise mit der Personenführung der jungen Sänger befasst, was ein ausgezeichnetes Resultat ergab. Das einfache Bühnenbild von Christian FENOUILLAT bestand aus zwei weißen, versetzbaren Wänden, wenn nötig mit Türen oder Aussparungen ergänzt. Nach Bedarf liegt Schnee (am Ende der Oper), Kronleuchter hängen vom Schnürboden (für die Ballszene) oder ein Blick auf ein Birkenwäldchen eröffnet sich (zu Beginn der Oper); das ist einfach und effizient und keine Firlefanz. Die Sänger sind von Agostino CAVALCA in passende, aristokratische Kostüme gekleidet, was die Ambiente in den richtigen eleganten Rahmen verlegt. Christophe FOREY leuchtete die Szene passend aus.

Triumphaler Beifall für die jungen Sänger und den großen Maestro. wig.