“IOLANTA” - 28. März 2003 (konzertant)

Tschaikowski war 1891 auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Nach einer sehr erfolgreichen Konzertreise durch die Vereinigten Staaten, der Wahl in die französische “Académie des Beaux Arts” und einem Ehrendoktorat der Universität Cambridge schien alles im besten Licht. In dieser Verfassung schrieb Tschaikowski “Iolanta”, die einzige seiner Opern ohne Bösewicht und mit positivem Ausgang auf ein Libretto seines Bruders Modeste nach einen Theaterstück des dänischen Dichters Henryck Herz. Tschaikowski schrieb seine letzte Oper gleichzeitig mit dem Ballett “Nußknacker”. Beide Werke wurden auch am 6. Dezember 1892 im Theater Mariinski uraufgeführt.

Die Tochter des König René der Provence, Iolanta, ist seit Geburt blind. Es ist allen unter Todesstrafe verboten, ihr diese Blindheit zu eröffnen. Sie ist als Kind mit Robert, dem Herzog von Burgund, verlobt worden, der sie nie gesehen hat und sich aber inzwischen in eine andere verliebt hat. Er kommt mit seinem Freund, dem Comte Vaudémont, um seine Verlobung zu lösen. Vaudémont sieht die schlafende Iolanta und verliebt sich bis über die Ohren. Als sie erwacht und Vaudémont mit ihr spricht, entdeckt er ihr Handicap. Als sie fragt “Was ist Licht?”, erklärt er es ihr. Die beiden werden überrascht, und René erfährt zu seinem Schrecken, dass Vaudémont ihr vom Licht gesprochen hat. Doch der maurische Arzt Ibn-Hakia verspricht, sie zu heilen, wenn sie genesen will. Da König René droht, an Vaudémont die Strafe zu vollziehen, entschließt sich Iolanta zu der Behandlung. Nach kurzer Zeit erhält Iolanta das Augenlicht, und Robert löst seine Verlobung, so daß Iolanta für Vaudémont frei ist. Die Oper endet in allgemeinem Jubel.

Interessant ist der poetische Text und die psychologische Situation Iolantas: das Problem der “Mitarbeit” des Kranken, der Wunsch zur Heilung wird ja heute in medizinischen Kreisen sehr viel diskutiert. “Du brauchst nur brennend wünschen, das Licht zu sehen”, erklärt der maurische Arzt, aber redet sich auch auf Allah aus, doch eine Bemerkung läßt an die Psychoanalyse denken: “Alles ist Fleisch und Geist und weiter Nichts ist rein physisch, auch das Augenlicht nicht.”

Tschaikowski schrieb eine sehr dichte, aber auch sehr durchsichtige Partitur. Die einaktige Oper (90 Minuten) besteht aus neun Szenen und enthält nur wenige Chöre, aber dafür einige ausgesprochen dankbare Sängerrollen. Im Gegensatz zu seinen früheren Opern, werden wenige Leitmotive verwendet. Die Orchestrierung ist sehr ausgefeilt, und die drei letzten Szenen sind durchkomponiert. Umso unverständlicher ist, daß dieses besonders schöne und gelungene Werk im Westen so wenig gespielt wird.

Diesmal waren im Rahmen der “Russischen Saison” die PETERSBURGER PHILHARMONIKER unter ihrem Chef Yuri TEMIRKANOW zu Gast. Es ist das älteste und berühmteste Orchester Rußlands, das fünfzig Jahre lang (von 1938 bis 1988) von Evgeny Mrawinski geleitet wurde. Die ungewöhnliche Homogenität des Orchesters ist nach wie vor bestechend. Der CHOR VON RADIO FRANCE unter der Leitung von Vladislav TCHERNUCHENKO sang die zwei kleinen Frauenchöre zu Beginn und die große Apotheose am Schluß mit großem Einsatz.

Die Besetzung bestand aus den besten Sängern, die Rußland heute zu bieten hat. Die Titelrolle sang Marina MESCHERIAKOVA mit Innigkeit, aber auch mit dramatischer Kraft in ihrem prächtigen Duett mit Vaudémont. Für die Rolle ihres Vaters König René, sprang Sergei ALEXACHINE ein und sang mit profundem schwarzen Baß seine wunderbare große Arie (mit Baßklarinette!), die auf dem selben Niveau wie die Gremin-Arie in “Eugen Onegin” ist. Den zynischen Herzog Robert sang Dmitri HVOROSTOVSKY als schöner Mann mit viriler Kraft und einer Stimme, die allen Damen Tränen entlockte.

Gegam GRIGORIAN war ein feuriger Graf Vaudémont. Sein Prachttenor ist der schweren Partie völlig gewachsen, die in die selbe Kategorie wie Hermann der “Pique Dame” gehört und sehr viel anstrengender als Lenski ist. Sergei LEIFERKUS sang den maurischen Arzt Ibn-Hakia mit seinem ausdrucksvollen Bariton und ernstem und weisem Ausdruck, bewußt seines Wissens. Den Boten Almeric sang Tomasz KRYSICA mit gepflegten Tenor, während Albert SCHAGIDULLIN dem Diener Bertrand seinen kräftigen Baß lieh. Mit schönem Alt war Elena MANISTINA eine besorgte Amme Martha, und Ekaterina SOLOVIOVA und Irina DOLJENKO die beiden hübsch singenden Freundinnen Iolantas.

Eine absolut perfekte Aufführung, die das Publikum mit enthusiastischem Applaus belohnte. wig.