"HÁRY JÁNOS"- 13. Juni 2004

Wenngleich weniger „bekannt“ als Belá Bartók, kennen doch viele Musikfreunde dessen Freund Zsoltan Kodály und seine Orchestersuite „Háry János“. Aber kaum die „Oper“, auf der die Suite beruht – wenn man dieses Werk eine Oper nennen kann. Denn dieses Werk ist ein musikalisches Unikum, ein Hybrid zwischen Kantate, Volksliedsammlung, Singspiel, Melodrama, Tanz, Pantomime und in der Musikliteratur ziemlich einzig dastehend.

Die Geschichte der geträumten oder erfundenen (?) Abenteuer des Háry János ist voll Poesie und menschlicher Güte, trotz Aufschneiderei und Hochstapelei. Diese Historie ist in ungarische Volksmusik eingebettet und stark von einem etwas naivem ungarischem Patriotismus getränkt (der unglaubliche Chor, der den Kaiser bittet, sich um seine Ungarn zu sorgen!). Niemand glaubt natürlich, daß Háry die Erzherzogin Marie-Louise aus der russischen Gefangenschaft errettet oder Napoleon vor den Toren Mailands gefangen genommen habe.

Das ganze Werk ist in eine traumhaft, irreale, ja, exotische Atmosphäre getaucht, die durch die weite Verwendung des Cymbalums noch unterstrichen wird. Diese Irrealität gibt aber dem Werk seinen eigentlichen Charme. Von den acht verwendeten Volksliedern ist das erste (das Nagybony-Lied) von Bartók gesammelt worden, die sieben anderen von Kodály. Sie werden den Gesangssolisten - Háry und seiner Geliebten Ilka - und dem Chor anvertraut.

Im Rahmen des alljährlichen „Festival des Régions“ wurde heuer die Oper Montpellier eingeladen. Friedemann LAYER und das ORCHESTRE NATIONAL DE MONTPELLIER brachten für das ungewöhnliche Werk große Liebe und Aufmerksamkeit auf. Selbst echte Ungarn werden das nicht oft finden.

Das Orchester aus dem Languedoc wurde sekundiert durch Jean-Paul SCARPITTA und seine träumerische Inszenierung (auch Bühnenbild, Kostüme, Beleuchtung und zahlreiche Projektionen). Scarpitta hatte sich mit dem Werk sichtlich intensiv beschäftigt. Mit Hilfe des Schriftstellers Florian ZELLER wurden die gesprochenen Texte des ursprünglichen Theaterstücks von Béla Paulini und Zsolt Harsányi in einen französischen Text für zwei Sprecher umgearbeitet, einserseits Háry und anderseits alle anderen Personen zusammengefaßt in der Figur des „Studenten“. Diese Lösung ist ganz gelungen, denn sie bietet ein gutes Verständnis der Handlung.

Eine Truppe von Tänzern und Akrobaten vervollständigte die folkloristische Seite, von Georges MOMBOYE brillant choreographiert. Die unglaubliche Molly SAUDEK schwirrt wie eine Libelle hin und zurück über eine 2 m hohe waagrechte Stange. Während der Episode der Zähmung des wilden Pferdes Luzifer durch Háry János macht Maxime PERVAKOV halsbrecherische Sprünge auf einen Trampolin. Hinreißend!

Der Erfolg der Aufführung war durch Gérard DEPARDIEU, den Sprecher des Háry János, garantiert, der dem Aufschneider Format verlieh und abwechselnd tobend, abwechselnd bittend seine Abenteuer vortrug. Micha LESCOT spielte den Studenten, der zwischen Zweifel und Bewunderung diese andächtig anhört. Bela PERENCZ als stimmgewaltiger und liebevoller Háry und Nora GUBISCH, die der Ilka ihren samtenen Mezzo lieh und liebevoll auf ihren Háry wartete, stachen unter den Sängern hervor.

Auch die kleinen Rollen waren gut besetzt: Zita VÁRADI, Lucia M. SCHWARTZ, Erik FREULON und Istvan ROZSOS. Der CHOR DER OPER MONTPELLIER (Leitung Christophe TALMONT) und der Kinderchor (Leitung Valérie SAINTE AGATHE) trugen bestens zu der sehr gelungenen Aufführung bei. wig.