"TRISTAN UND ISOLDE" - 4. Mai 2005

Die Pariser Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ wurde mit viel Medienaufwand angekündigt und war seit Neujahr ausverkauft. Allerdings ist Peter SELLARS eigentümlicherweise eigentlich zum selben Schluß gekommen wie Hans Graf in Bordeaux, eben daß in „Tristan“ nicht viel zu inszenieren ist. Also, machen wir auch hier, das was man in Frankreich so schön eine „Mise en espace“ nennt – man kann’s auch „Bühnenmöblierung“ nennen. Die Inszenierung selbst ist eben so einfach wie in Bordeaux, bisweilen mit gleichen Stellungen: ein großes Bett auf der Bühne, im 1. Akt rechts, links im 2. und in der Mitte im letzten Akt. Die Kostüme (Martin PAKLEDINAZ) sind einfach düster und passend, keine Firlefanz. Ein Tablett mit zwei Schalen für den Todes- und Liebestrank, ein Federmesser statt des Schwertes. Personenführung gibt es so gut wie keine, meistens singen die Sänger an der Rampe. Das ist alles!

Diese Produktion wurde bereits vergangenen Herbst (in drei Abenden!) in der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles gezeigt. Das aber ist in Kalifornien zu wenig - und vermutlich zu langweilig. Also, wir machen eine Video-Show (Sellars‘ Marotte) dazu, um dem Publikum das zu erklären. Daher lud Sellars seinen Kumpan Bill VIOLA und dessen Frau und Allround-Managerin Kira PEROV ein, eine optische Interpretation zu bieten. Die Wichtigkeit dieser Video-Erklärung ist durch das Kommentar Violas (im Programmheft auf Französisch, Englisch und Deutsch gedruckt!) unterstrichen. Die Liste der über 80 (!) Video-Mitarbeiter füllt eine ganze Seite des Programmhefts aus.

Was Viola sagt ist nicht trivial, dumm oder übertrieben, eine etwas naive Art einer Integration des Gesamtkunstwerks, einigermaßen verkrampft, mit buddhistischen und hinduistischen Anspielungen. Kostproben: „Die Bilder der drei Akte enthalten ineinander verwebte, wiederkehrende Handlungsstränge, doch unterscheiden sie sich voneinander, wenn sie die verschiedenen Stufen des Übergangs der Liebenden zur Loslösung widerspiegeln.“ Zum 3. Akt: „Wenn glühende Leidenschaft und Fieber das geistige Auge blenden, und das sinnliche Verlangen für immer unbefriedigt bleibt, ist die spiegelnde Oberfläche erschüttert und löst sich in reines Licht, in schwebende Wellenmuster auf. Die Liebenden steigen empor, sie entschweben, jetzt in Frieden mit sich selbst, in ein Reich, das jenseits der Begriffspaare Mann und Frau, Geburt und Tod, Licht und Dunkel, Anfang und Ende liegt.“ Postmoderne New Age Philosophie. Wagners späte Schriften sind dagegen relativ einfach und lesbar!

Das Resultat sind sehr schöne, traumhafte Bilder, niemals direkt beschreibend: Wellen des Pazifik, ein sich entkleidendes Paar, das nackt zur Reinigung von zwei Acolyten mit Wasser übergossen wird, ein im Wasser sich umarmendes Paar, wiegende Wälder, ein durchs Feuer schreitender Tristan, zum Liebestod („Versinken! Ertrinken!“) steigen zwei Personen im Wasser auf u. v. m.. Manche Besucher waren begeistert, manche enttäuscht, manche ablehnend und fanden das Video Quatsch. Jedenfalls lenkt die ständige Videoprojektion von Musik und Text ab. Daß ich persönlich für diese Art der Interpretation nicht sonderlich empfänglich bin, ist ein Euphemismus.

Die Aufführung war musikalisch interessant, aber wahrlich nicht umwerfend. Das lag in erster Linie an der sehr langsamen, aber nicht sehr dynamischen Leitung von Esa-Pekka SALONEN. Eher symphonisch als dramatisch, fehlte die Spannung. Nicht jeder Dirigent mit langsamen Tempi ist notwendigerweise ein Knappertsbusch oder Furtwängler ….. Bereits im Vorspiel des 1. Akts fehlte das Drängen und nur selten gab es wirkliche Steigerungen. Noch am ehesten im Liebesduett des 2. Akts. Selbst der Liebestod war sehr zurückhaltend, und es fehlte die Apotheose, die Krönung dieses absoluten Meisterwerks. Meistens begleitete das Dirigat der plätschernden Wogen des Video, statt Wagners Musik zu folgen.

Waltraud MEIER sang Isolde mit großem Einsatz, prachtvollem Ausdruck und sehr intensivem Spiel. Einige Schärfen in den Höhen sind nicht überraschend und auch nicht störend. Der Liebestod war sehr verhalten gesungen und steigerte sich nur ganz am Schluß. Schlicht umwerfend war der sehr lyrische Tristan von Ben HEPPNER. Die Vitalität der Stimme und seine Durchhaltekraft sind überwältigend. Zumal er im des 3. Akt – dank eines seltenen Regie-Einfalls - zuerst auf dem Rücken liegend und dann abwechselnd rechts oder links auf seinen Arm gestützt sang!

Die zweite ganz große Leistung war Franz-Josef SELIG als König Marke. Peter Sellars erklärt im Programmheft, daß in einem früheren homoerotischen Verhältnis Tristan Markes Geliebter gewesen sei, weshalb Marke und Tristan sich am Ende des Monologs des Königs lange küssen! Selig sang als einziger nicht an der Rampe. Die Erschütterung und Tragik der Rolle war intensiv fühlbar. Sein prachtvoller Baß ist für diese Rolle ideal, seine ungemein dramatische, ja gepeinigte Interpretation des Verzichts ist erschütternd („Dies Tristan mir!“), besonders wenn er am Ende auf die Knie sinkt. Großartig!

Yvonne NAEF sang wunderschön eine sehr besorgte, fast mütterliche Brangäne, die ihrer Schuld gefühlvollen Ausdruck gab. Jukka RASILAINEN in einem grauen Fischer-Pullover war stimmlich ausgezeichnet, sang aber recht bieder einen gutmütigen, nicht polternden Kurwenal. Alexander MARCO-BURMEISTER gab Melot die richtige Hinterhältigkeit und sang passend. Ausgezeichnet war Toby SPENCE als vollstimmiger Seemann und als Hirt. David BIZIC war ein passender Steuermann.

Peter BURIAN hatte den MÄNNERCHOR gut einstudiert, der vom 2. Balkon sang, was einen beachtlichen Stereoeffekt ergab. - Viel Applaus, dem Ereignis entsprechend. wig.