"LA RONDINE" - 7. Juli 2005

Wohl die am wenigsten gespielte von Puccinis mittleren Opern (UA 1917 in Monte Carlo), hat der große italienische Dirigent Gianandrea Gavazzeni mit Recht dessen „Rosenkavalier“ genannt. Als Puccini 1913 zur Premiere seiner „Fanciulla del West“ nach Wien kam, wurde er vom Direktor des Carl-Theaters angesprochen, eine Operette für sein Haus zu schreiben. Puccini nahm das sentimentale Libretto der beiden Haus-Librettisten Alfred Maria Willner (Libretto für Lehárs „Graf von Luxemburg“ und für Leo Fall tätig) und Heinz Reichert (beteiligt am „Dreimäderlhaus“, später am Broadway erfolgreich) und machte „La Rondine“ daraus. Obwohl die Oper in Paris und an der Côte d’Azur spielt, ist es eine Mischung von Wiener Volkstheater, „Traviata“, „Fedora“ und „Bohème“. Die Musik ist reinster Puccini - mit einem Walzer-Überguß. Weshalb diese Oper so selten gespielt wird, ist völlig unbegreiflich: ein sehr geschickt gezimmertes Libretto zwischen Sentimentalität und Tragik, prachtvolle, sehr einfallsreiche Musik Puccinis, für die Sänger ausgesprochen dankbare Rollen. Eine Kuriosität ist auch, daß das Eingangslied des Prunier von der Titelheldin in einer zweiten Strophe „fertig gesungen“ wird. Ich habe diesmal „La Rondine“ zum ersten Mal gesehen – nach ca. 40 „Tosca“- bzw. „Turandot“-Aufführungen und selbst vier oder fünf „Fanciulla del West“.

Das „Capitole de Toulouse“, eine der ältesten Bühnen Frankreichs mit einer langen Tradition, hat diese Rarität zusammen mit Covent Garden herausgebracht, die nun im Rahmen des alljährlichen „Festival des Régions“ im Châtelet zu sehen war. Die angekündigte Angela Gheorghiu hat – wie erwartet - abgesagt und man konnte die ausgezeichnete Katie van KOOTEN in der Titelrolle der Magda sehen (die beiden ersten Vorstellungen sang Inva Mula). Eine sehr attraktive junge Frau, mit einer prachtvollen großen Stimme und einem außergewöhnlichem Schauspiel-Talent, gibt sie der halbseidenen Kokotte eine sehr glaubhafte Darstellung.

Ihr zur Seite sind gleich zwei Tenöre. Der Dandy ist der Dichter Prunier, von Marius BRENCIU passend snobistisch gespielt, der sein Eingangslied „Chi il bel sogno di Doretta“ mit angenehmem lyrischem Tenor sang. Der wirkliche Liebhaber ist jedoch Ruggero Lastouc, von Giuseppe FILIANOTI sehr erfolgreich gespielt und prachtvoll gesungen. Seine kraftvolle spinto-Stimme ist für die Rolle ausgezeichnet, und er verwendet sie bestens. Nur der arme Ruggero ist in Wirklichkeit ein Muttersöhnchen: er fragt sofort bei Mama und Papa an, ob er seine Magda heiraten darf, was in einer sehr sentimentalen Briefszene zum Ausdruck kommt. Da tritt aber bei der Titelheldin Panik ein und sie kehrt mit einer sehr nostalgischen Arie zu ihrem reichen Rambaldo Fernandez zurück, der sie in einem luxuriösen Haus aushält, von Alberto RINALDI mit Eleganz dargestellt.

Lisette, ihre Kammerzofe ist mit Prunier durchgegangen und „wollte zur Bühne“ mit katastrophalem Erfolg, eine Figur direkt aus einer Posse Nestroys. Die junge Annamaria dell’OSTE gab dem liebenswerten Plappermäulchen eine sehr temperamentvolle Darstellung, mit hübschem, gut geführtem Koloratursopran. In den Nebenrollen der Gäste und Freunde waren die Damen Oriana KURTESHI, Nicole FOURNIÉ und Elsa MAURUS in traumhaften Kleidern sehr passend, ebenso wie die befrackten Herren Frédéric CATON, Jean-Pierre LAUTRÉ und Thierry FELIX. Thierry VINCENT was ein würdiger, brummiger Maître d’Hotel.

Der CHOR DES CAPITOLE (Leitung Patrick Marie AUBERT) stand im der Caféhausszene des 2. Akts wacker seinen Mann.

Marco ARMILIATO leitete das ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE mit genau dem richtigen Gleichgewicht von Sentimentalität und dramatischer Kraft. Die Finessen der bisweilen recht avantgardistischen Melodik, die bereits auf „Turandot“ weist, sowie die richtig veristischen Passagen, kamen hervorragend zur Geltung. Das Orchester spielte blendend den Walzer im 2. Akt und schwelgte im schmalzigen Verismus. Das Publikum war begeistert, da in Frankreich veristische Musik so gut wie überhaupt nicht mehr gespielt wird.

Der Intendant des Capitole, Nicolas JOEL, hat selbst inszeniert und sich die Mitarbeit des großen Bühnenbildners Ezio FRIGERIO und dessen ständiger Mitarbeiterin Franca SQUARCIAPINO für die Kostüme gesichert. Vinicio CHELI unterstützte ihn effizient mit passender Beleuchtung. Man muß sich einen großen Saal des Hauses eines steinreichen Mannes um 1910 vorstellen, das von Gustav Klimt ausgestattet wurde. Das ist der phantastischen Jugendstil-Rahmen dieser Produktion, die man, ohne Übertreibung, als genial bezeichnen kann. Die Klimt’schen Wände und Pfeiler werden in der 2. Akt in Bulliers Kneipe etwas zurückgesetzt und geben Platz für den Tanzplatz frei. Der 3. Akt spielt vor einer großen Jugendstil- Glasveranda mit sehr elaborierten, prachtvollen Baumgemälden und stilisierten Säulen. Die Kostüme waren ebenso ungewöhnlich passend, dekadent und bildschön. In diesem luxuriösen Rahmen konnte Joel seine Künstler leiten, wie es ihm einfällt, und das ist perfekt gelungen.

Ein phantastischer Abend mit viel Applaus, wo ein fast unbekanntes Werk unter optimalen Bedingungen dem Vergessen entrissen wurde. wig.