"MEDEA" - 8. Juli 2005

Als zweite Produktion aus Toulouse im Rahmen des „Festival des Régions“ konnte man eine andere Seltenheit erleben, Cherubinis „Medea“. Obwohl die Uraufführung 1797 als „Médée“ auf französisch nur sechs Jahre nach Mozarts „Clemenza di Tito“ im Théâtre Feydeau in Paris stattfand, handelt es sich hier um eine ganz andere Operngattung als die klassische Opera seria. Angefangen mit der Tatsache, daß die Oper mit gesprochenem Text – d. h. als „Opéra comique“ – gegeben wurde und deshalb beim Publikum nicht ankam. Die Rezitative wurden erst 60 Jahre später von einem gewissen Franz Lachner, Komponist und Dirigent in München, komponiert.

Die heute allgemein gespielte Fassung ist eine Rückübersetzung ins Italienische einer deutschen Bearbeitung, die im 19. Jahrhundert viel auf deutschen Bühnen gespielt wurde und auf den französischen und italienischen Version beruht. Auch musikalisch hat „Medea“ mit der klassischen Opera seria nur wenig gemein. Eher Donizetti („Anna Bolena“!) als Mozart. Nur sehr wenige formelle Arien, viele Ariosi accompagnati, viele Chöre und sehr freie dramatische Szenen. Nach erstmaligem Hören würde man „Medea“ eher um 1830 ansiedeln und nicht 30 Jahre früher. Auch wenn Cherubini sehr von Gluck im Sinne der französischen Tragödie von Racine und Corneille beeinflußt war, sind die musikalischen Quellen eher bei Méhul, Gossec, dem „Sturm-und-Drang“ und beim älteren Haydn zu suchen. Der junge Beethoven feierte 1805 Cherubini bei seinem Besuch in Wien als den größten Komponisten seiner Zeit.

Die Oper war ca. 80 Jahre praktisch vom Spielplan verschwunden bis Maria Callas 1953 „Medea“ beim Maggio musicale in Florenz wieder zur Aufführung brachte. „Medea“ steht und fällt mit der Sängerin der Titelrolle. Außer Callas, die die Oper ca. 70 Mal in aller Welt gesungen hat, haben nur wenige Sängerinnen sich an die überaus anstrengende Rolle gewagt, u.a. Magda Oliviero, Eileen Farrell und Leonie Rysanek. 1986 sang Dunja Vejzovic in Paris die französische Fassung im Palais Garnier.

In Toulouse hat man sich die „Medea“ was kosten lassen, und die heute einzig dafür in Frage kommende Sängerin engagiert: Anna Caterina ANTONACCI. Daß die Italienerin diese Herausforderung völlig bestand, ist eklatant. Natürlich denkt man an Callas, z. B. wenn sie in ihrer großen Szene mit Giasone mehrmals „Crudel!“ singt. Doch ist ihre Stimme ausgeglichener und weicher als die der Callas. Sie kann auch in dieser Rolle ihre außergewöhnliche Bühnenpräsenz zur Schau stellen: eine Löwin im korinthischen Käfig, eine ganz große Tragödin.

Annamaria dell’OSTE lieh ihren gut geführten und angenehmen Sopran Medeas Nebenbuhlerin Glauce. Die junge Italienerin ist eine der interessantesten Neuentdeckungen, denn sie meisterte auch die vielen Koloraturen bestens. Giasone, der Mann zwischen den beiden Frauen, war der Albaner Giuseppe GIPALI, der mit passendem spinto-Tenor sang und den machistischen Feigling richtig darstellte.

Giorgio GIUSEPPINI war der sture Creonte, der dem etwas ratlosen Korinther-König mit etwas trockener Stimme die passende Figur gab. Sehr erfreulich war die Neris von Sara MINGARDO, die mit warmem Mezzosopran das Lamento des 3. Aktes sehr ausdrucksvoll sang. Frédéric CATON als Wache kündigte martialisch die Ankunft Medeas an. In den kleinen Rollen der beiden Dienerinnen fielen Elena POESINA und Blandine STAKIEWICZ angenehm auf.

Evelino PIDÒ stand am Pult und leitete das ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE mit großem Einsatz und wußte die richtigen Akzente zu geben. Wenngleich die Ouvertüre des 1. Akts etwas banal wirkt, ist das in den folgenden Akten nicht der Fall. Die Herausarbeitung der zahlreichen Soloinstrumente (Horn, Klarinette, Piccolo) war sehr gelungen und differenziert. Der CHOR DES CAPITOLE (unter Patrick Marie AUBERT) sang nicht nur hervorragend, sondern agierte auch sehr gut in der tragischen Handlung.

Die Bühnengestaltung war einem Spezialisten für griechische Tragödien anvertraut, Yannis KOKKOS, selbst Grieche, der immer alles macht (Regie, Bild, Kostüme) und der vor zwei Jahren die hinreißenden „Troyens“ von Berlioz (mit Antonacci als Cassandre) im selben Haus geleitet hatte, beschränkte sich hier auf eine schwarze Wand mit zwei gold- umrahmten Toren. Zu Giasones Ankunft öffnet sich die Wand und gibt den Blick auf ein riesiges antikes Schiff frei. Die pechschwarzen Kostüme des Chors gaben den Hintergrund für das nachtblaue Kleid Medeas, das weiße Kleid Glauces und die bronzenen Kriegswämse Giasones und seiner Mannen. Im 3. Akt ist eine trichterförmige Ausnehmung in der Wand mit einer brennende Vase zu sehen. In dieser düsteren Ambiente bewegen sich die Choristen gemessen feierlich mit großen Perücken aus der Zeit Ludwig XIV (Danielle und Jean-Claude MARCHIONE). Wie selten war die bedrückende Tragik der schrecklichen Handlung zu fühlen. Ein ganz großer Abend! wig.