„IL BARBIERE DI SIVIGLIA“ - 14. Januar 2005

Eigentlich könnte die Aufführung „Il Barbiere di Kandahar“ heißen, denn die Handlung spielt nicht an Andalusien, sondern in einer Wüstenprovinz Afghanistans. Coline SERREAU, bekannte Theater- und Filmregisseurin und aktive Feministin, überlegte vor drei Jahren, wo heute das absolute Patriarchat eigentlich aktuell ist, und das talibanische Afghanistan schien ihr ein geeigneter Schauplatz. Daß Sevilla auch ein paar Jahrhunderte unter maurischer Herrschaft war, verbindet die beiden Handlungsorte auch. Man kann natürlich die Nase rümpfen über die fast obligate Transpostion der Opernhandlungen in einen „zeitgemäßen“ Rahmen, aber diesmal ist die Verlegung recht gelungen, zumal die Ideen von den kongenialen, bildschönen Bühnenbildern von Jean-Marc STEHLÉ und Antoine FONTAINE und den sehr passenden Kostümen von Elsa PAVANEL erfolgreich unterstützt werden.

Vor einer Felsburg, die an die Havelis in Rajasthan erinnert, erscheint der Chor mit Fiorillo in Afghanenkluft und Massud-Kappen. Figaro trägt auf dem Kopf einen der kleinen bunten, aufsteckbaren Sonnenschirme, wie sie auf Stränden verkauft werden, und stellt einem kleinen Kasten mit elektrischer Beleuchtung, voll mit Fläschchen, Parfumflakons und Utensilien auf die Bühne, vor dem er seine Auftrittsarie singt. Das düstere Gebäude dreht sich dann und entpuppt sich als ein superbes Moghul-Palais, wo Rosina das bereits vorbereitete „Billett“ aus einem Tischchen auf dem Balkon holt und über die Brüstung wirft, aber ein Ende hält, denn das „Billett“ ist sicher 4 m lang. Almaviva ist ein Mujahedin mit großem Schnurrbart und einem riesigen, mittelalterlichen Schwert. Die afghanische Polizei kommt mit riesigen schön verzierten, altmodischen Flinten um Ruhe zu stiften.

Der 2. Akt spielt in einem schönen roten Salon, mit Diwanen an der Wand, rechts Arkarden, weiße Vorhänge zum Garten, erhöht ein kleiner Kiosk. Almaviva erscheint als Don Alonso mit tragbarem Spinett, klappt die Beine auf und beginnt Rosinas Rondo „dell'inutil precauzione“ zu begleiten, während Bartolo schläft. Während der „Tempesta“ feuert Rosina - wütend wegen Almavivas vermeintlichen „Verrats“ - alles beim Fester hinaus, zerreißt die Vorhänge, beginnt sich auszuziehen, während Figaro und Almaviva über den Kiosk einsteigen. Der Ring, den Almaviva Basilio gibt, leuchtet auch im Dunkeln, etwas kitschig, aber effektvoll. Das alles ist gut durchdacht und blendend ausgeführt.

Musikalisch war die Aufführung ausgezeichnet. Bereits im Andante der Ouvertüre waren die Bläser gut herausgearbeitet, und das Allegro war sehr prägnant. Daniel OREN zeigte sich wieder von seiner besten Seite, denn er war ständig besorgt, das Gleichgewicht zwischen Bühne und Graben zu wahren. Zum Presto des Finale hüpfte Oren wie ein Ball auf dem Dirigentenpodest; man mußte an Tullio Serafin oder Vittorio Gui denken, in deren Linie er sich klar einreiht.

Der vorzügliche Titelheld war Dalibor JENIS, der die Figaro-Cavatine mit Bravour hinblätterte. Er spielte den unterwürfigen, aber klugen Untergebenen mit Charme und frecher Aufmümpfigkeit. Sein Herr, Graf Almaviva, war Bruce FORD. Er sang sehr kultiviert „Ecco, ridente in cielo“ mit den prächtigen Verzierungen der Zedda-Fassung und falsettierte blendend in „Pace e gioia sia con voi“. Sein Spiel war jedoch meist recht hölzern, etwas überheblich, z. B. wenn er sich den Polizeikorporal herbeizitiert und ihm seinen roten Diplomatenpaß zeigt.

Seine angebetete Rosina war die kecke Joyce DI DONATO, die himmlisch sang und sich in blauer Burkha bestens als Haremsdame bewährte. Sie überrumpelte spielend ihren Bartolo, einen Mullah in schwarzem Kaftan und Bart, dem Alberto RINALDI gutes Profil gab, und der seine Arie „A un dottor de la mia sorte“ prachtvoll sang.

Der Don Basilio von Vladimir OGNOVENKO ist ein Ayatollah, ein 2 m großer Riese mit einer Bombenstimme, der „La Calumnia“ mit Genuß zum Vortrag brachte. Jeannette FISCHER gab der kleinen Rolle der Berta mit ihrer hübschen Arie viel mehr, als was man gewohnt ist. Sergei STILMACHENKO war ein flotter, schön singender Fiorillo und Yves COCHOIS ein etwas dämlicher Ober-Polizist. Ein sehr schöner Abend! wig.