"ROBERTO DEVEREUX" (konzertant) - 22. September 2005

Von Donizettis 70 plus Opern werden in erster Linie die Buffo-Opern gespielt, mit Ausnahme von "Lucia di Lammermoor". Daß Donizetti in hohem Maße die Operndramatik der Romantik geprägt hat, ist nur Liebhabern bekannt, die vier hochdramatischen Tudor-Opern werden nur sporadisch gegeben, wenn besonders qualifizierte Sänger oder Dirigenten sich der Sache annehmen. Maria Callas hat hier wegweisend gewirkt mit der Ausgrabung von "Anna Bolena" 1957 an der Scala. Im letzten Jahrzehnt hat in erster Linie Editha Gruberova dieses Repertoire gepflegt. Daß nun Evelino Pidò diese Ausgrabungen betreibt, ist sehr erfreulich. Diese konzertante Produktion aus Lyon von Donizettis sehr selten gespielten Tudor-Oper nach Paris einzuladen, war eine ausgezeichnete Idee.

Das blutige Ende von Roberto Devereux, Earl of Essex, des letzten Favoriten von Königin Elisabeth I., hat als Hintergrund die vertrackte Expedition Devereux' 1598 nach Irland, wo er mit dem Earl of Tyrone gegen den Wunsch der Königin Frieden schloß. 50 Jahre später sollte Cromwell das Prinzip der verbrannten Erde in Irland zu Ende führen, einem der blutigsten Kapitel der englischen Geschichte. Die dramatische Handlung hatte der französische Autor J. A. F. Ancelot in ein Drama gefaßt, das Salvatore Cammarano zu einem sehr effektiven Libretto adaptierte. Donizetti hat hier endgültig mit dem Belcanto Rossinis, Mercadantes und Bellinis gebrochen und eine sehr offene Form des musikalischen Dramas eingeleitet, die später Verdi zur Blüte und Vollendung bringen sollte.

Selbst die Hauptrollen haben nur wenige wirkliche Arien, die Ariosi gehen oft in kurze dramatische Ausbrüche über, die dann wieder in ein Arioso münden. Duette und Terzette werden ebenso sehr offen behandelt. Die Orchestrierung ist sehr viel dichter und ausgefeilter als die seiner Vorgänger, die solistische Verwendung der einzelnen Pulte zur Unterstreichung der dramatischen Handlung und Charakterisierung der Personen ist hier bereits sehr entwickelt. Man kann natürlich über die etwas naive Verwendung des "God save the Queen" in der Ouvertüre lächeln, denn dieser Gesang wurde erst 150 Jahre später nach der siegreichen Schlacht von Preston Pans des Stuart-Prätendenten Bonnie Prince Charlie gesungen. (Die Melodie stammt übrigens ursprünglich von Lully, im Auftrag von Mme. de Maintenon für eine Huldigungshymne für Ludwig XIV. komponiert.)

Was nicht hindert, daß es sich um ein höchst interessantes Werk handelt, das außer in Wien und Zürich, selbst in Italien nicht oft gespielt wird (diese Saison ist die Oper in Ancona programmiert), in Frankreich - mit Ausnahme einer kurzen Serie in Nizza vor 15 Jahren - überhaupt nicht.

Da die angekündigte Sängerin der Elisabeth, Darina Takova, krankheitshalber abgesagt hatte, war die Aufführung in Gefahr. Maria Pia PISCITELLI sprang in letzter Minute ein, die sich wahrlich nicht als "Ersatz" entpuppte, denn die Einspringerin erntete einen großen persönlichen Erfolg. Die attraktive junge Italienerin besitzt eine Stimme mit ungewöhnlich dunklem Timbre, was nicht hindert, daß sie die fulminanten Höhen der mörderischen Partie spielend meistert. Die Ausdruckskraft von Signa. Piscitelli ist ebenfalls beeindruckend, denn die Königin, die zwischen Haß und Liebe für Roberto Devereux ständig schwankt, ist psychologisch sehr ambivalent und stimmlich eine sehr anspruchsvolle Rolle. Es wäre interessant, sie auf der Bühne zu erleben.

Ihre Gegenspielerin, die Herzogin von Nottingham, die Essex auch heimlich liebt, ist auch keine leichte Partie. Die Albanerin Enkeljeda SHKOSA besitzt zwar eine ausnehmend große Mezzosopran-Stimme, doch neigt sie zum Forcieren, besonders in den Höhen und im forte, was zu einigen recht scharfen Tönen führt. Der Tenor zwischen den beiden Frauen, Roberto Devereux, war bei Stefano SECCO in besten Händen. Mit seinem gut geführten, geschmeidigen Tenor, führt er die Kantilene bestens und schmettert brillante Höhen in den Saal, während er in den lyrischen Stellen ebenfalls sehr ausdrucksvoll bleibt ("Bagnato il sen di lagrime" im 3. Akt, das sehr an die Friedhofszene der "Lucia" erinnert).

Den Herzog von Nottingham, der glaubt, daß seine Frau mit Roberto gesündigt habe, wurde von Laurent NAOURI sehr eindrucksvoll gestaltet. Sein kraftvoller Baßbariton entwickelt sich immer mehr, und seine dramatischen Ausbrüche und lyrischen Szenen sind sehr eindrucksvoll. Bruno LAZZARETTI als Lord Cecil, dem Ankläger Robertos, war weniger beeindruckend, denn sein spröder Tenor ist nicht ganz lupenrein. Enrico TURCO sprang für die kleine Rolle des Sir Walter Raleigh ein.

Dem Dirigenten Evelino PIDÒ gebührt ganz besonderes Lob. Er leitete CHOR (Leitung Allan WOOLBRIDGE) und ORCHESTER DER OPERA DE LYON mit allerhöchstem Einsatz und Umsicht. Dieser Vollblutmusiker begleitet die Sänger, erlebt und ziseliert jede Phrasierung mit den Sängern und führt sie liebevoll durch die Fluten der Partitur. Er ist ein würdiger Nachfolger der großen Operndirigenten Serafin, Votto, Gavazzeni oder Molinari-Pradelli. Meisterhaft!

Das nach italienischer Musik ausgehungerte Publikum füllte das Pariser Théâtre des Champs Elysées bis auf den letzten Platz und bereitete den Künstlern einen unglaublichen Triumph. wig.