"RUSALKA" - 23. September 2005

In Librettti der romantischen Oper des 19. Jahrhunderts gibt es oft Nymphen, Feen, Hexen und wunderliche Sagengestalten. Auch Wagner ist ja diesem "Wahn" ziemlich verfallen …. Zu Ende des Jahrhunderts hat der Symbolismus noch zusätzlich mitgemischt. Diese literarische Tendenz hat sich in ganz Europa verbreitet. Jaroslav Kvapil, Regisseur am Prager Nationaltheater, Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift "Ceská Thalie", hat in letzterer Funktion sehr viel für die Verbreitung der symbolistischen Literatur in Prag getan. Er überarbeitete das Libretto von La Motte Fouqué für Hoffmanns Oper "Undine" und produzierte einen sehr poetischen, symbolistischen Text, den Dvorak sofort aufgriff. Hier wird Rusalka zu einer Schwester von Melisande, einer anderen symbolistische Frauenfigur, von der man eigentlich nicht weiß woher sie kommt. Auch die Kaiserin, die nach Menschlichkeit sich sehnende "Frau ohne Schatten" ist nicht weit.

Dvorak stand am Höhepunkt seiner Kunst und seines Ruhms. "Rusalka" ist keine romantische Feenoper wie bei Marschner oder Weber, sondern ein "Gesamtkustwerk" im Sinne Wagners. Dvorak hat in der Orchestrierung und Behandlung der Stimmen viel von Wagner übernommen - besonders die Rolle des Prinzen - doch bleibt immer Dvoraks böhmische Marke. Seine Behandlung des Orchesters ist vollendet, und sämtliche Pulte kommen zum Zug. Die durchwegs dankbaren Gesangsrollen sind nur erstklassigen Sängern wirklich zugänglich. Daß diese Oper nicht weiter verbreitet ist und nicht auf dem Spielplan deutscher Bühnen steht, ist traurig und bedauerlich.

Die Erstaufführung der vorletzten Oper Dvoraks vor drei Jahren an der Bastille unter James Conlon war eine Sensation. Die Wiederaufnahme unter der Leitung von Jiri BELOHLAVEK war eine prächtige Bereicherung, denn er arbeitete Details heraus, die nur einem "Einheimischen" zugänglich sind. So entdeckte ich ein kurzes, sehr treffendes Trompetensolo im Mond-Lied zwischen den beiden Strophen. Der Marsch wird hier in der Wiederholung ein Furiant. Das Orchester der Pariser Oper folgte dem Gast aus Prag mit Begeisterung und Hingabe.

Alle Sänger waren der Aufgabe voll gewachsen, von der wunderbaren Olga GURYAKOVA angeführt, die sowohl den Drang nach Freiheit und Menschlichkeit als auch die Nostalgie ihres Nymphendaseins mit großer Intensität gesanglich und darstellerisch zum Ausdruck brachte. Ihr Prinz, Miroslav DVORSKY, war ein strahlender jugendlicher Heldentenor und besonders in der Schlußszene erschütternd.

Den Wassermann Vodnik sang wie vor drei Jahren Franz HAWLATA und gab dem symbolischen schlechten Gewissen Rusalkas mit seinem profunden Baß den treffenden Ausdruck. Als Hexe Jezibaba, die Rusalka Exkursion zu den Menschen ermöglicht, sang Larissa DYADKOVA mit ausdrucksvollem Mezzo und passendem dreistem Spiel.

Anda Louise BOGZA war eine glaubhafte fremde Prinzessin, mit ihrem angenehmen sinnlichen Sopran und gutem Spiel. Als Förster war Sergei STILMACHENKO sehr treffend, und Karine DESHAYES war ein furchtsamer Küchenjunge. Die drei Nymphen wurden von Michelle CANNICCIONI, Svetlana LIFAR und Nona JAVAKHIDZE wohl timbriert gesungen und spielerisch dargestellt. David BIZIC sang gut die Stimme des Jägers hinter der Szene.

Was die Inszenierung betrifft sind Spiegelungen, eine der Marotten von Robert CARSEN, für ein symbolistisches Drama natürlich sehr passend. Die Zwiespältigkeit Rusalkas und ihr Doppelleben sind ein guter Vorwand Spiegelungen zu verwenden. Mit seinem Ausstatter Michael LEVINE hat Carsen eine gespiegelte Bett-Allegorie auf die Bühne gestellt. Im 1. Akt schwebt ein gutbürgerliches Schlafzimmer, mit Doppelbett, zwei Nachkästchen und vier Stühlen, in fünf Meter Höhe, das genau darunter horizontal gespiegelt reproduziert ist. Mittels Projektionen wird der Wasserspiegel des Teichs genau zwischen den beiden Betten gezeigt. Am Ende des 1. Akts verschwinden die unteren Wände, Bett usw. und das "irdische" Bett kommt auf Bühnenebene herab, ein sehr gelungenes Bild.

Auch im 2. Akt geht es noch an, wo beide Betten nun Kopf an Kopf auf der Bühne stehen, und die ganze Handlung zwischen der nun stummen Rusalka und der fremden Prinzessin auf Bühnenebene gespiegelt stattfindet. Nur muß der Spiegel-Prinz von einem Statisten gemimt werden. Das Ballett ist natürlich einfach zu "spiegeln", sehr gut von Philippe GIRAUDEAU choreographiert.

Im 3. Akt wird es kompliziert, denn hier erscheint das Doppelbett, mit Nachkästchen und Stühlen, auf die Rückwand der Szene geklebt, d.h. nochmals zwei Mal um neunzig Grad gedreht mit der Hexe Jezibaba drin! Und dann dreht sich der ganze Bett-Zauber auch noch! Hier wird der Symbolismus allerdings etwas strapaziert! Zum Schluß der Oper erscheint das Bett wieder, ganz bürgerlich, wie zu Ende des 1. Akts und der Prinz stirbt unter Rusalkas Kuß ebenerdig - das Wasser wird projiziert.

Die Idee der Spieglung ist sicher gut, doch bisweilen etwas übertrieben. Die Kostüme waren einfache Straßenkleidung des beginnenden 20. Jahrhunderts. Nur die Nymphen und Rusalka trugen die für Wassergeister fast obligaten weißen wallenden Kleider.

Eine sehr schöne Saisoneröffnung mit einem herrlichen, seltenen Werk - leider war das Haus nicht voll. wig.