"ELEKTRA" - 26. Juni 2005

Zum Abschluß der Saison hat man in der Bastille für eine Neuinszenierung der Strauss’schen „Elektra“ optiert und zu diesem Anlaß ein hochkarätiges Damentrio aufgeboten, von Christoph von DOHNANYI – nach seinem Unfall bei „Arabella“ anscheinend wieder hergestellt – magistral geleitet. Man kann hier ermessen, was ein großer Dirigent aus dem ORCHESTER DER PARISER OPER herausholen kann. Denn das Resultat war einfach umwerfend, erschütternd – es fehlen die Worte. Denn sowohl die wuchtigen Ausbrüche, als auch die lyrischen Passagen waren feinst heraus gearbeitet, die Soloinstrumente kamen immer zur Geltung, bis zum dionysischen Schlußwalzer, wo der CHOR (von Peter BURIAN geleitet) zum rauschhaften Finale beitrug.

Die Solisten waren der Orchesterleistung ebenbürtig. In erster Linie Deborah POLASKI in der Titelrolle, stimmlich souverän – auch wenn gewisse Höhen nicht ganz rein waren („Rings um dein Grab!“) – dominiert sie die Bühne. Die ausgezeichnete Personenführung (siehe unten) war teilweise dafür verantwortlich. Ihre Schwester Chrysothemis war mit Eva Maria WESTBROEK bestens besetzt. Trotz des läppischen Kleids gab sie der sich nach Mutterschaft sehnenden jungen Frau, die von ihrer dominierenden Schwester buchstäblich umzingelt wird, intensivsten Ausdruck. Stimmlich überragend, war sie der großen Schwester eine ebenbürtige Partnerin und Widersacherin.

Beider Mutter, die von Albträumen gequälte Klytemnästra, war Felicity PALMER, die der menschlichen Ruine in Gesang und Darstellung erschütternde Intensität gab, die von Elektra terrorisiert wird, aber trotzdem die Begegnung mit ihr sucht („Ich habe keine guten Nächte.“). Neben diesen drei szenischen Monstern waren die Herren – wie gewohnt – im Nachteil. Markus BRÜCK als Orest bietet als bebrillter Fremder zwar eine glaubhafte Verkörperung, aber die recht trockene Stimme ist wenig angetan, um das Vertrauen der Schwester zu gewinnen. Jerry HADLEY als Aegisth hat ein „Generationsproblem“. Zwar stimmlich völlig passend, wirkt er viel zu jung um als Klytemnästras Liebhaber glaubhaft zu sein. Er wirkt eher als ihr Sohn, eventuell gar ihr Enkel…

Von den Mägden (Mary Ann McCORMICK, Doris LAMPRECHT, Cornelia ONCIOU, Irmgard VILSMAIER) ist Gutes zu berichten. Allerdings hat Tracy SMITH-BESSETTE als fünfte Magd nicht die genügenden Stimmittel für die von den anderen Verfolgte, die mehr stimmlichen Einsatz bedarf. Als Aufseherin, Vertraute und Schleppträgerin waren Susan Maria PIERSON, Barbara MORIHIEN und Constance BRADBURN passend. Ales BRISCEIN und Scott WILDE waren adäquate Diener und Philippe FOURCADE ein umsichtiger junger Pfleger.

Bleibt die Inszenierung. Ein hoch interessanter Artikel „Die Kraft des Paroxysmus“ des französischen Komponisten Christophe Looten im Programmheft analysiert ganz richtig den deutschen Idealismus, das apollinische Griechentum von Winckelmann über Goethe und Schiller bis Novalis und Wagner, als die Grundlage der deutschen romantischen Literatur. Dieser Idealismus wurde von Nietzsche in Frage gestellt, in dem er apollinische und dionysische Elemente als Gegensätze postulierte. Sicher, Hoffmannsthal und Strauss waren den Thesen Nietzsches nicht abhold. Doch die szenische Verwirklichung ließ teilweise zu wünschen übrig. Der Intendant des Bochumer Schauspielhauses Mathias HARTMANN hat sichtlich den Text gelesen und durchdacht, denn seine Personenführung ist von ungewöhnlicher Dichte und ausnehmend konsequent durchgeführt. Wenn Elektra ihre Schwester mit ihren Armen umstrickt, oder wenn sie Klytemnästra konfrontiert, ist das ganz großes Theater.

Weniger geglückt waren Bild und Kostüme (Jan VERSWEYVELD). Die Idee eine riesige Grube als Agamemnons Grab im Unterteil der Bühne einzurichten – mit Agamemnons Mantel auf einem Kleiderständer – ist nicht abzulehnen, wenngleich die Abgrenzung mit schwarz-gelben Plastikbändern, wie nach einer Massenkarmbolage auf der Autobahn, unnötig war. Auch nicht, die Mägde in einem Glaskiosk (mit zwei riesigen grasgrünen Waschmaschinen!) rechts vorne zu parken, wahrend die „Herrschaft“ im Palais oben wohnt. Aber die grassierende Manie, unbedingt alles „zeitgemäß“ zu haben und die sozialen Gegensätze herauszustreichen, ist in der Übertragung daneben gegangen. Denn das „Palais“ der Atriden ist eine selten häßliche, riesige graue Scheune, mit einem nicht weniger häßlichen Balkon und einer Tür (mit einem kleinen symbolischen mykenischen Löwentor darüber), die auf eine Schiffs-Reling zur Vorderbühne mündet.

Ebenso wie die abscheulichen Kostüme der fünfziger Jahre, Chrysothemis in einem blauen zweiteiligen Kostüm (ebenso wie Klytemnästras Gefolge in grün und braun), Aegisth in einem Playboy Outfit, Klytemnästra in einem champagnerfarbenen Abendkleid, Orest als bebrillter Vertreter, die Mägde in engen Blusen und Röcken oder Jeans, Elektra in einem dunkelroten Rock und einem schweren schwarzen Kaftan (als sich Polaski beim Schlußvorhang allein verbeugte, hatte sie ihren Kaftan abgelegt: sie war total durchgeschwitzt…). Irgendwie fällt die durchwegs glaubhafte, bisweilen sogar ausnehmend packende, Personenführung flach, denn die ausgesuchte Häßlichkeit der grauen Baracke und der Bekleidung ist einfach störend. Schade!

Ein Triumph für die drei Hauptdarstellerinnen und den Dirigenten. wig.